Doppelbelastung für das Sexualleben |
Brigitte M. Gensthaler |
28.12.2021 18:00 Uhr |
Eine Depression kann ebenso wie Antidepressiva zu Problemen im Sexualleben und in der Partnerschaft führen. In der Therapie werden sexuelle Nebenwirkungen der Medikation selten beachtet. / Foto: Fotolia/Chinnapong
Viele depressive Frauen und Männer fühlen sich in ihrem Sexualleben erheblich eingeschränkt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. »Offenbar haben die Hauptsymptome einer Depression wie Antriebsmangel oder Interessenverlust Auswirkungen auf das Intimleben der Betroffenen«, schreibt der Psychiater Dr. Andreas Ebert vom LWL-Universitätsklinikum der Ruhr Universität Bochum im Fachblatt »Nervenheilkunde«.
Ungefähr die Hälfte der depressiven Patienten leidet bereits vor einer medikamentösen Therapie unter Libidoverlust. Probleme, eine Erektion aufrechtzuerhalten, mangelnde vaginale Feuchtigkeit (Lubrikation) beim Verkehr, Orgasmusstörungen, aber auch Hypersexualität: Die Spannbreite des veränderten sexuellen Erlebens ist breit.
Antidepressiva wirken zwar bei vielen Patienten positiv auf die Grunderkrankung, haben aber oft Nebenwirkungen wie Ejakulations- oder Orgasmusstörungen – und verschärfen somit sexuelle Störungen oder lösen sie gar erst aus. »Dies schränkt die Lebensqualität von vielen bezüglich der Depression erfolgreich Behandelten weiter ein«, weiß der Experte – und reduziere deren Adhärenz bis hin zum Abbruch der antidepressiven Therapie.
Gemäß eines 2020 publizierten Reviews (DOI: 10.5694/mja2.50522) ist das Risiko für sexuelle Dysfunktionen am größten bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) und geringer bei Trizyklika (Ausnahme Clomipramin) und Mirtazapin.
Reduzierte Libido, Verzögerungen oder Ausbleiben von Orgasmus oder Ejakulation stehen im Vordergrund. Die bekannte Nebenwirkung führte 2009 zur Zulassung von Dapoxetin zur Behandlung von vorzeitiger Ejakulation (Ejaculatio praecox, EP) bei erwachsenen Männern. Auch andere SSRI würden off Label hierfür verordnet, schreibt der Arzt.
Seit einigen Jahren wird das seltene Post-SSRI-Syndrom vermehrt beachtet. Hier persistieren die unerwünschten sexuellen Beschwerden nach Absetzen der SSRI oder treten damit verbunden erst auf.
Vergleichsweise günstig schneiden Moclobemid, Agomelatin, Reboxetin und Bupropion ab, die daher eine Alternative in der Psychopharmakotherapie bieten können. Auch Trazodon und Tianeptin scheinen seltener unerwünschte Effekte auf Sexualfunktionen zu haben.
Der Psychiater weist – neben einer Anpassung der Medikation – auch auf die Psychotherapie zur Behandlung der Depression hin. Zudem könnten Sport und körperliche Aktivität, Achtsamkeitsübungen oder Yoga hilfreich sein.
Gerade in der Dauertherapie solle ein ehrlicher Austausch über die sexuelle Zufriedenheit der Patienten erfolgen und diese bewusst in der Therapie beachtet werden. Manchmal müsse man sexuelle Nebenwirkungen allerdings akzeptieren, wenn der Patient ohne ein bestimmtes Präparat oder Dosierung nicht stabil eingestellt werden kann oder eine akute Gefahr, zum Beispiel durch Suizid, droht.