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Covid-19-Impfung für Kinder und Jugendliche

Die Gründe für die STIKO-Entscheidung

Wie angekündigt hat die Ständige Impfkommission ihre Impfempfehlungen aktualisiert und rät nun allen Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren zu einer Coronaimpfung. Im »Epidemiologischen Bulletin« erläutert sie die Datenbasis dafür.
Christina Hohmann-Jeddi
20.08.2021  13:54 Uhr

Aufgrund fehlender Sicherheitsdaten zu den Coronaimpfstoffen für Kinder und Jugendliche und einer geringen Krankheitslast in der Altersgruppe hatte die Ständige Impfkommission (STIKO) bislang nicht generell zu einer Covid-19-Impfung geraten. Nun hat die STIKO wie am 16. August angekündigt die Impfempfehlungen überarbeitet und geändert. »Die STIKO empfiehlt für alle 12- bis 17-Jährigen die Covid-19-Impfung mit zwei Dosen eines mRNA- Impfstoffs (Comirnaty® oder Spikevax®) im Abstand von drei bis sechs beziehungsweise vier bis sechs Wochen«, heißt es in der Publikation im »Epidemiologischen Bulletin« (Nummer 33/2021).

Durch die Impfung sollten nicht nur die direkten Folgen einer Coronainfektionen, sondern auch deren indirekte Folgen »wie Einschränkungen der sozialen und kulturellen Teilhabe« für Kinder und Jugendliche abgemildert werden, betont die STIKO. Ihr war zuletzt vorgeworfen worden, diese indirekten Folgen in den Empfehlungen zu wenig zu berücksichtigen. 

Vor der Impfung müssten Kinder und Jugendliche über die Nutzen und Risiken der Immunisierung gegen SARS-CoV-2 in einer für sie verständlichen Form ärztlich aufgeklärt werden, heißt es in der Publikation. Bei Minderjährigen unter 14 Jahren sei die Einwilligung der Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten einzuholen. Jugendliche könnten selbst einwilligen.

Die Risiken

Die Impfung mit einem der mRNA-Impfstoffe könne vorübergehend zu lokalen und systemischen Impfreaktionen führen, die ähnlich ausgeprägt und häufig wie in der Gruppe der älteren Jugendlichen (18 bis 25 Jahre) seien, heißt es von der STIKO. Lokale Reaktionen wie Schmerzen und Schwellungen an der Einstichstelle treten vermehrt nach der ersten und systemische Reaktionen wie Fieber, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen eher nach der zweiten Dosis auf.

Peri- und Myokarditiden müssten als schwere, aber sehr seltene Ereignisse nach Impfung gewertet werden, die bei Jungen häufiger als bei Mädchen aufträten. Die STIKO gibt eine Häufigkeit von 1 zu 17.000 beziehungsweise 1 zu 110.000 an. Die Herzmuskelentzündungen verliefen in der Regel mild, zu ihren möglichen Langzeitfolgen sei allerdings noch wenig bekannt. Um bleibende Herzschäden zu vermeiden, ist es ratsam, in den ersten Tagen nach einer Impfung außergewöhnliche körperliche Belastungen und Leistungssport zu vermeiden. Dies gilt aber nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern generell.

In Deutschland wurden bislang 24 Fälle von Peri- oder Myokarditis nach Coronaimpfung bei 14- bis 17-Jährigen gemeldet, davon 22 bei Jungen und zwei bei Mädchen. Die meisten traten nach der zweiten Impfung auf. Todesfälle gab es keine.

Weitere schwerwiegende Ereignisse neben den Myokarditiden seien laut STIKO bisher nicht bekannt geworden, obwohl inzwischen etwa 12 Millionen Personen dieser Altersgruppe allein in den USA und Kanada geimpft wurden.

Der Nutzen

Beide mRNA-Impfstoffe seien grundsätzlich sehr wirksam, heißt es in der Publikation. Die induzierten Antikörpertiter lagen in den Studien auf dem Niveau der 16- bis 25-Jährigen – und im Fall von Comirnaty noch darüber. Der Schutz gegen Covid-19 betrug in den Zulassungsstudien mit mehr als 2000 Probanden bei beiden Impfstoffen 100 Prozent. Die Impfung schützt somit zuverlässig gegen coronabedingte Erkrankungen.

Wie häufig sind diese? Covid-19 sei in der Regel bei Kindern und Jugendlichen keine schwere Erkrankung, so die STIKO. Laut einer aktuellen Metaanalyse bleiben 15 Prozent der infizierten Kinder und Jugendlichen asymptomatisch, während 42,5 Prozent einen milden und 39,6 Prozent einen moderaten Infektionsverlauf haben. Bei 2 Prozent verläuft die Erkrankung schwer und 0,7 Prozent werden kritisch krank.

In Deutschland musste 1 Prozent der Kinder mit gemeldeter Infektion hospitalisiert werden. Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen ohne Vorerkrankungen seien eine absolute Seltenheit, heißt es von der STIKO. In Deutschland wurden zwei Todesfälle bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren an das Robert-Koch-Institut übermittelt. Beide Personen waren schwer vorerkrankt. In den jüngeren Altersgruppen starben insgesamt zwölf Kinder, davon acht mit schweren Vorerkrankungen; zum Teil befanden sich die Betroffenen in palliativer Behandlung.

In Einzelfällen könne es nach einer Coronainfektion zu schwerwiegenden Krankheitsmanifestationen kommen. Hier nennt die STIKO das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) und Myokarditis, deren Langzeitprognosen nicht endgültig bekannt seien. Ersteres sei eine schwerwiegende Erkrankung, die drei bis vier Wochen nach einer symptomatischen oder asymptomatischen Infektion auftreten könne. Genaue Daten zur Häufigkeit liegen laut STIKO noch nicht vor. Seit Beginn der Pandemie trat das Syndrom bei 398 Kindern und Jugendlichen in Deutschland auf, keiner der Betroffenen starb. Einer Metaanalyse mit 39 einbezogenen Studien zufolge benötigen 71 Prozent der PIMS-Patienten eine intensivmedizinische Behandlung, die Mortalität liegt bei 1,7 Prozent.

Zudem kann es auch durch eine Coronainfektion zu einer Peri- und Myokarditis kommen. In einer Untersuchung aus den USA traten die Herzerkrankungen bei 12- bis 17-Jährigen mit einer Häufigkeit von 1 zu 3000 auf (Inzidenz 32,8 auf 100.000 Personen). Dabei waren Jungen doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. 40 Prozent der Erkrankungen traten innerhalb von fünf Tagen nach Covid-19-Diagnose auf. Todesfälle aufgrund von Myokarditis wurden nicht berichtet.

Eine häufig diskutierte Folge von Coronainfektionen ist das Post-Covid-Syndrom oder auch Long Covid. Wie häufig dies bei Kindern und Jugendlichen vorkomme, sei bisher nicht quantifizierbar, schreibt die STIKO. In einer Studie aus Großbritannien wurde beispielsweise ermittelt, dass Long Covid 7 Prozent der 2- bis 11-Jährigen und 8 Prozent der 12- bis 16-Jährigen betreffe. Zwei Studien aus Deutschland und den USA, die neben den coronainfizierten Kindern und Jugendlichen auch eine nicht infizierte Kontrollgruppe berücksichtigten, kamen zu dem Ergebnis, dass sich die Häufigkeit von Long-Covid-Symptomen wie Müdigkeit, Schnupfen, Schlafstörungen oder Kopfschmerzen in den beiden Gruppen nicht unterschied. Die STIKO räumt allerdings ein, dass bei steigenden Infektionszahlen auch bei geringer Inzidenz von Long Covid bei Kindern die Zahl der Betroffenen zunehmen wird.

Indirekter Nutzen

Die STIKO hat bei ihrer Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche auch die psychosozialen Folgen der Pandemie mit im Blick. Diese seien insbesondere durch Isolationsmaßnahmen »in dieser Altersgruppe auch unabhängig von individuellen Infektionen mit SARS-CoV-2 erheblich, wenngleich auch diese sich nur schwer quantifizieren lassen«.

Psychosoziale Folgen könnten Impfungen von Kindern und Jugendlichen laut STIKO also abmildern, auf den weiteren Verlauf der Pandemie haben sie einen geringen Effekt. Wie eine mathematische Modellierung ergab, hat die Impfung der 12- bis 17-Jährigen ohne Steigerung der Impfquote der Erwachsenen bis 59 Jahren »keinen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der bevorstehenden vierten Welle«. Mit einer hohen Impfquote unter den 12- bis 17-Jährigen ließe sich aber die Krankheitslast von ungeimpften Kindern und Jugendlichen reduzieren.

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