Die ersten Thrombosefälle im Detail |
Christina Hohmann-Jeddi |
04.05.2021 14:30 Uhr |
Auch der Vektorimpfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) kann in seltenen Fällen ungewöhnliche Thrombosen verursachen. / Foto: Janssen
Zerebrale Sinusthrombosen (CSVT) in Kombination mit Thrombozytopenie wurden in Europa nach der Gabe des Vektorimpfstoffs Vaxzevria® von Astra-Zeneca beobachtet. Die ungewöhnlichen Gerinnungsstörungen treten ausgesprochen selten auf, sind aber gefährlich. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung gilt als wahrscheinlich. Zugrunde liegt der Impfkomplikationeiner Hypothese zufolge eine Immunreaktion, die einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) ähnelt. Dabei reagieren Antikörper auf das körpereigenen Signalmolekül Plättchenfaktor 4 (PF4), wodurch Thrombozyten aktiviert und die Gerinnungskaskade angestoßen wird.
Auch nach dem Einsatz des Covid-19-Impfstoffs von Janssen (Ad26.COV2.S) traten ganz ähnliche Fälle von Sinusthrombosen in Kombination mit einem Blutplättchenmangel auf. In den USA, wo das Präparat früher als in Europa eingesetzt wurde, kam es bis zum 12. April zu sechs solchen Fällen bei sieben Millionen Geimpften, was zu einem Pausieren des Einsatzes führte. Nach Wiederaufnahme kamen sechs weitere CVST-Fälle mit Thrombozytopenie hinzu (sowie drei Non-CVST thrombozytisches Syndrome) Die ersten zwölf Sinusthrombose-Fälle nach Ad26.COV2.S-Vakzinierung aus den USA stellt nun ein Team um Isaac See von der US-Gesundheitsbehörde CDCim Fachjournal »JAMA« vor.
Demnach handelt es sich bei allen Patientinnen um weiße Frauen zwischen 18 und 60 Jahren, von denen bei sieben mindestens ein Risikofaktor für Gerinnungsstörungen vorlag: Sechs waren adipös, eine hatte eine Schilddrüsenunterfunktion und eine nahm orale Kontrazeptiva ein. Keine von ihnen war schwanger, hatte zuvor schon eine Thrombose entwickelt oder Heparin erhalten.
Die Symptome der CVST traten zwischen sechs und 15 Tagen nach der Impfung mit Ad26.COV.2 auf. Elf Patientinnen stellten sich mit Kopfschmerzen in den jeweiligen Kliniken vor, eine Patientin hatte zuerst Rückenschmerzen und entwickelte später Kopfschmerzen. Zum Teil wurden auch Sprachschwierigkeiten, Schwindel, Erbrechen, spätes Fieber und Myalgien beobachtet.
Alle Frauen wiesen niedrige Blutplättchenzahlen zwischen 9 und 127 x 103/µl Blut auf. Als normal gelten Werte von 150 bis 450 x 103/µl Blut. Auch die D-Dimer- und Fibrinogenwerte waren durchweg anomal, berichten die Forschenden um See. Elf der Frauen wurden auf Antikörper gegen PF4 getestet; dieser Test fiel in allen Fällen positiv aus.
Von den zwölf Patientinnen hatten sieben Einblutungen in das Gehirn und acht zusätzliche Thrombosen in anderen Blutgefäßen. Alle Frauen mussten hospitalisiert und zehn von ihnen auf eine Intensivstation verlegt werden. Bis zum 21. April waren drei Patientinnen gestorben (alle mit Einblutungen in das Gehirn), drei wurden weiterhin intensivmedizinisch behandelt, während zwei auf eine normale Station verlegt und vier nach Hause entlassen wurden.
Sechs der betroffenen Frauen hatten initial Heparin gegen die Gerinnungsstörung erhalten. Diese Patientinnen wurden später auf eine Heparin-Alternative umgestellt. Vier Patientinnen erhielten initial eine Heparin-Alternative und zwei Frauen wurden gar nicht antikoaguliert.
Die vorgestellten Fälle zeigten viele Ähnlichkeiten zu den CVST-Erkrankungen, die nach Vaxzevria-Impfung in Europa aufgetreten seien, schreiben die Autoren. So wiesen sie ebenfalls eine niedrige Blutplättchenzahl auf sowie zusätzliche Thrombosen in anderen Blutgefäßen als den Hirnvenen. Letzteres war auch in 30 Prozent der Fälle nach Astra-Zeneca-Impfung beobachtet worden. Bei den Betroffenen konnten ebenfalls PF4-Antikörper entdeckt werden, ohne dass die Frauen zuvor mit Heparin behandelt worden waren. Allerdings fiel bei den meisten von ihnen der funktionelle Blutplättchen-HIT-Antikörpertest, der die Aktivierung der Thrombozyten durch die Antikörper misst, negativ aus. Bei den europäischen Fällen nach Vaxzevria-Impfung sei dieser dagegen positiv ausgefallen, heißt es in der Publikation. Ob dieser Unterschied auf verschiedenen Assays beruhe oder Hinweise auf den Pathomechanismus gebe, sei noch unklar und müsse untersucht werden.
Noch sei der genaue Auslöser der fatalen Reaktion unklar. Laut dem Global Advisory Committee on Vaccine Safety (GACVS) der Weltgesundheitsorganisation könnte ein Klasseneffekt der Adenovirus-basierten Vektorimpfstoffe nicht ausgeschlossen werden.
Sowohl der Impfstoff von Astra-Zeneca als auch der von Janssen verwenden ein nicht-vermehrungsfähiges Adenovirus, um die Erbinformation für das Spike-Protein des SARS-Coronavirus-2 in die Zellen der Geimpften zu transportieren. Dabei unterscheiden sich allerdings die verwendeten Vektoren: Während Astra-Zeneca ein Schimpansen-Adenovirus (ChAdOx1) einsetzt, verwendet Janssen ein humanes Adenovirus vom Typ 26. Letzteres ist auch Basis einer der zwei Komponenten des Sputnik-V-Impfstoffs. Alle Untersuchungen zu den seltenen Impfkomplikationen sollten sich auf alle Adenovirus-basierten Impfstoffe beziehen, heißt es vom GACVS.
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