Die bestmögliche Therapie für Demenz-Patienten |
Brigitte M. Gensthaler |
14.10.2020 18:00 Uhr |
Der kognitive Abbau verläuft bei Demenzkranken meist schleichend. Antidementiva können das Fortschreiten verlangsamen. / Foto: Adobe Stock / Orawan
Die Pharmakotherapie richtet sich nach dem Stadium der Demenz und sollte immer von nicht-pharmakologischen Maßnahmen begleitet werden, informierte Dr. Silke Wunderlich, Neurologin am Klinikum rechts der Isar, München, in einem Webinar der Bayerischen Landesapothekerkammer.
Die Fakten sind schnell berichtet: Im leichten und mittelschweren Stadium sind die Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE-I) Donepezil, Rivastigmin und Galantamin zugelassen, ab dem mittelschweren Stadium der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin. Bei Patienten mit schwerer Demenz werden Donepezil oder Galantamin oder Donepezil plus Memantin gegeben, doch das ist ein Off-Label-Gebrauch. Es gebe keine Head-to-head-Studie der verschiedenen Kombinationen, sagte die Ärztin. Das Spektrum ist also übersichtlich und doch ist die Therapie fehleranfällig. Einige Grundregeln:
Noch eine Aufgabe für Apotheker: die Medikation des Seniors durchforsten. »Eine Demenz kann als Therapiefolge auftreten bei Benzodiazepinen, Anticholinergika und Polypharmazie«, mahnte Wunderlich. Bei 31 Prozent der Patienten mit der Erstdiagnose Demenz seien Medikamente die (Mit-)Ursache. »Es lohnt sich immer, die Medikation zu analysieren, denn die Kognition kann durch Weglassen von Medikamenten verbessert werden.«
Vorteil von Donepezil ist, dass es einmal täglich unabhängig vom Essen eingenommen wird. Wunderlich empfahl die Gabe kurz vor Schlafengehen – damit der Patient mögliche Nebenwirkungen verschläft. Startdosis 5 mg, Tageshöchstdosis 10 mg. Auch Galantamin wird einmal täglich geschluckt, aber zum Frühstück. Startdosis 8 mg, Tageshöchstdosis 24 mg. Rivastigmin wird zweimal täglich und zwar zum Frühstück und Abendessen geschluckt. Starttagesdosis 3 mg, Tageshöchstdosis 12 mg. »Die Nebenwirkungen schwächen sich bei Gewöhnung ab; daher beginnt man mit einer niedrigen Dosis und steigert langsam alle vier Wochen. Rivastigmin kann man alle zwei Wochen steigern.« Anders gesagt: start low, go slow.
Für Patienten mit Schluckstörungen gibt es flüssige Arzneiformen und Donepezil als Schmelztablette. Rivastigmin-Transdermalpflaster sind eine weitere Alternative und auch für Patienten geeignet, die die Einnahme verweigern. Startdosis 4,6 mg/24 Stunden, Höchstdosis 13,3 mg/24 Stunden.
»Da Donepezil, Rivastigmin und Galantamin in ihrer Wirksamkeit vergleichbar sind, wählt man die Medikation nach ihren Neben- und Wechselwirkungen«, berichtete Wunderlich. Alle drei können gastrointestinale Probleme bereiten, die bei Rivastigmin ausgeprägter sind. Auch Schwindel und Kopfschmerzen sind hier häufiger. Das Nebenwirkungsprofil von Rivastigmin ist bei oraler und transdermaler Gabe vergleichbar; bei TTS ist auf lokale Reizungen zu achten.
Vorteil von Rivastigmin: Es wird nicht hepatisch metabolisiert und ist daher »bei Polymedikation absolut zu bevorzugen«, so die Referentin. Dagegen werden Donepezil und Galantamin über CYP-Enzyme verstoffwechselt und interagieren mit Enzyminduktoren (cave Johanniskraut) und Enzyminhibitoren wie Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Erythromycin. Aufgrund steigender Plasmaspiegel des Antidementivums können vermehrt Magen-Darm-Probleme wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auftreten.
Bei den pharmakodynamischen Interaktionen ist besonders auf Anticholinergika und Arzneistoffe mit anticholinergen Nebenwirkungen zu achten. Diese konterkarieren die antidementive Wirkung, beeinträchtigen die cholinerge Neurotransmission und verstärken damit kognitive Störungen. Zu den im Praxisalltag wichtigen Stoffe mit anticholinergen Effekten gehören Vertreter der Trizyklika, Antipsychotika, Antihistaminika, Uro-Spasmolytika und Parkinson-Medikamente. Diese sind ebenso wie Benzodiazepine und Opioide bei Demenzpatienten zu vermeiden.
»Man sollte die Medikation nicht beenden, auch nicht in schweren Stadien, solange sie gut verträglich ist«, riet Wunderlich. Sie bezog sich dabei auf eine Untersuchung mit Patienten, die unter stabiler Donepezil-Therapie in eine schwere Demenz gerutscht waren. Die Aufnahme in ein Pflegeheim wurde bei Weitereinnahme deutlich hinausgezögert im Vergleich zu den Patienten, bei denen Donepezil abgesetzt wurde. Erst nach 48 Monaten war kein Unterschied mehr erkennbar.
Nur bei schweren Nebenwirkungen, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen, müsse man absetzen, auch wenn die Demenz dann schneller verläuft. Es lohne sich aber, zunächst den Wirkstoff zu wechseln. Ansonsten solle eine AChE-I-Therapie auch bei schwerer Demenz fortgeführt werden (off label).
Der NMDA-Modulator steht in Tabletten und Tropfen zur Verfügung. Beginnend mit 5 mg wird die Dosis wöchentlich um 5 mg gesteigert bis auf 20 mg. Da Memantin renal eliminiert wird, ist die Nierenfunktion zu beachten: Ab einer Kreatinin-Clearance unter 50 ml/min wird die Dosis halbiert. Bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance 5 bis 29 ml/min) sollte die Tageshöchstdosis 10 mg betragen.
Als Nebenwirkungen können Verwirrtheit, Halluzinationen, Schwindel, Kopfschmerzen und QTc-Zeitverlängerung auftreten.
Schließlich wies die Neurologin noch auf eine wichtige Komorbidität hin: Depression. »Eine Depression verdoppelt das Risiko, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken, kann jedoch in deren Verlauf auch neu auftreten.«
Eine beginnende Demenz macht viele Menschen traurig und depressiv. Eine Depression kann aber auch eine Demenz vortäuschen. / Foto: Shutterstock/Ruslan Guzov
Die beiden Erkrankungen könnten zufällig nebeneinander vorliegen, aber viele Patienten werden auch im Lauf der Demenz, vor allem im Frühstadium depressiv, wenn sie den kognitiven Verlust realisieren. Wichtig sei es, eine »depressive Pseudodemenz« – also ausgeprägte kognitive Störungen bei Depression – zu erkennen und adäquat zu behandeln. Typisch für die Pseudodemenz ist, dass sie rasch beginnt, weniger als sechs Monate anhält und die depressiven Symptome vor den kognitiven einsetzen. Depressive Patienten klagen über ihre Einbußen, haben Versagensängste und Schuldgefühle. »Typisch sind ein Morgentief und Leistungsschwankungen in Tests.« Wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Alzheimer-Demenz: Die Alltagsbewältigung funktioniert und die Patienten sprechen auf Antidepressiva an.
Die Neurologin riet dringend, die Patienten in jedem Fall antidepressiv zu behandeln. Auch Demenzpatienten mit depressiver Komponente würden davon profitieren. Geeignet sind Antidepressiva ohne anticholinerge Nebenwirkungen, also keine Trizyklika. Meist werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer angesetzt.