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Pandemie-Zwischenbilanz

Deutschland schlägt sich bislang ganz gut

Nach der ersten Welle hatte man in Deutschland noch das Gefühl, gut durch die Pandemie gekommen zu sein. Doch seit der zweiten Welle sinkt die Zuversicht. Ein Blick auf die Zahlen zeigt aber: Grund zum Meckern gibt es eigentlich nicht.
Christina Hohmann-Jeddi
21.04.2021  09:00 Uhr

Eine Zwischenbilanz der Bewältigung der Pandemie zog Professor Dr. Christoph Sarrazin, Chefarzt am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden, auf dem 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, der in diesem Jahr online stattfindet. Sarrazin betrachtete dabei verschiedene Parameter wie die Sterblichkeit, die Effektivität der Infektionsschutzmaßnahmen, aber auch den wirtschaftlichen Aspekt.

»In Bezug auf die Inzidenz hat sich Deutschland bislang gut geschlagen«, berichtete der Internist. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat es Deutschland mit einer kumulativen Inzidenz von 3444 auf 100.000 Einwohner noch in die Top 12 im internationalen Vergleich geschafft. Allerdings seien solche Vergleiche prinzipiell ausgesprochen schwierig, weil die Transparenz und Verlässlichkeit der Meldedaten schlecht einzuschätzen seien.

Auf Platz 1 im Ranking liegt der WHO zufolge China mit einer kumulativen Inzidenz von 7 auf 100.000 Einwohner. Es folgen zwei Demokratien: Neuseeland und Australien mit 45 beziehungsweise 115 Coronavirus-Infektionen auf 100.000 Einwohner im gesamten Verlauf der Pandemie. Als beste europäische Länder nennt die WHO Finnland und Norwegen mit einer kumulativen Inzidenz von 1410 und 1785 auf 100.000 Einwohner. Auch die weltweit höchsten Inzidenzen wurden in Europa registriert: In Montenegro und Tschechien infizierten sich inzwischen mehr als 14.500 Menschen auf 100.000 Einwohner.

Beim Testen gibt es Luft nach oben

Bei der Anzahl der durchgeführten Corona-Tests schneidet Deutschland allerdings nicht ganz so gut ab. Diagnostik-Tests seien ein entscheidender Faktor in der Pandemie, sagte Sarrazin. Hier liegt Deutschland mit 8,3 Tests pro nachgewiesene Infektion aktuell knapp unter den Vorgaben der WHO, die 10 bis 30 Tests pro nachgewiesenem Fall empfiehlt. Mehr getestet wird zum Beispiel in den USA (13 Tests pro Fall) und in Großbritannien (571 Tests pro Fall). Spitzenreiter ist laut Sarrazin Australien mit 2834 Tests pro nachgewiesenem Fall, bei allerdings nur sehr geringen Fallzahlen.

Sarrazin ging auch auf die Maßnahmen ein, die zur Eindämmung der Pandemie ergriffen wurden. »Ein viel diskutiertes Thema«, sagte er. In einer »Science«-Studie aus diesem Jahr wurden die ergriffenen Maßnahmen wie Schul- und Geschäftsschließungen für 41 Länder bewertet. Mit Ausnahme der Ausgangssperre führte Deutschland in der ersten Welle der Pandemie alle dort aufgeführten Maßnahmen ein. »Die Auswertung zeigt, dass die in Deutschland getroffenen Maßnahmen sowohl die Inzidenz als auch die Mortalität effektiv senken konnten«, so Sarrazin. Den stärksten Effekt hätten die Begrenzung der Treffen auf weniger als zehn Personen und die Schulschließungen gehabt. Interessant für die aktuelle Diskussion sei, dass der Effekt einer zusätzlichen Ausgangssperre zu den bestehenden anderen Kontaktbeschränkungen nur gering ausfalle.

Relativ niedrige Sterblichkeit

Dass die ergriffenen Maßnahmen effektiv waren, zeigt sich auch in den Daten zur Sterblichkeit. Diese liegt in Deutschland mit kumulativ 91,9 Todesfällen auf 100.000 im internationalen Vergleich relativ niedrig. Den höchsten Wert weltweit weisen hier Tschechien und Ungarn mit 251 beziehungsweise 223 Todesfälle auf 100.000 Einwohner auf, auch Großbritannien (187/100.000) und die USA (166/100.000) haben relativ hohe Werte. Die niedrigste Sterblichkeit ist in China, Singapur und Neuseeland zu verzeichnen, bei denen weniger als 1 Person auf 100.000 Einwohner an Covid-19 gestorben ist. Die Nachbarländer Deutschlands wie Frankreich, Italien oder Österreich weisen eine höhere kumulative Sterblichkeit auf als Deutschland, ebenso wie Schweden (133/100.000), das ja bekanntlich einen Sonderweg einschlug.

Beim Thema Impfungen ist Israel führend mit 61 Prozent Erstimpfungsquote, gefolgt von Großbritannien mit fast 50 Prozent, berichtete Sarrazin. In Deutschland seien inzwischen etwa 19 Prozent der Erwachsenen mit einer ersten Impfdosis gegen das Coronavirus versorgt.

Ist die Impf-Strategie aufgegangen?

Wie effektiv war der in Deutschland beschrittene Weg, zuerst die Älteren zu impfen? Hierzu gebe es eine interessante ebenfalls in »Science« erschienene Studie, die den Effekt verschiedener Priorisierungen bestimmter Altersgruppen auf die Sterblichkeit untersucht habe, berichtete der Mediziner. Dabei hängt der Effekt auch vom R-Wert ab. Bei einem angenommenen R-Wert von 1,5 ist die beste Reduktion der Todesfälle zu erreichen, wenn man zuerst Ältere (über 60 Jahre) impft. Bei einem niedrigeren R-Wert von 1,15 fällt das Ergebnis etwas anders aus. Hier wäre es am effektivsten, die Aktiven (20- bis 49-Jährige) mit vielen Kontakten zuerst zu impfen. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Priorisierungen waren dabei allerdings gering. »In Deutschland lag der R-Wert seit Anfang 2021 zwischen 1 und 1,2«, sagte Sarrazin. Ein hoher Wert von 1,5 wurde nicht erreicht. »Daher könnte man durchaus diskutieren, ob das der richtige Weg war.«

Am Beispiel Israel könne man seiner Ansicht nach erkennen, dass es mit dem Erreichen der Herdenimmunität schwierig werden könne. Die Durchimpfung dort stagniere nach einem starken Anstieg schon seit mehreren Wochen bei etwa 60 Prozent. Um Kontaktbeschränkungen und andere Maßnahmen aufheben zu können, sei aber eine Durchimpfung von 70 Prozent oder darüber deutlich besser, so Sarrazin.

Israel unternimmt nun Anstrengungen, um auf diesen Wert zu kommen. So ziehen zum Beispiel Impfteams abends durch Bars und verabreichen den Impfstoff gegen einen freien Drink jedem Impfwiligen, zum Teil werden auch Gutscheine für Geschäfte verteilt. Dadurch sollen impfskeptische Jüngere, für die Covid-19 keine große Bedrohung darstellt, erreicht werden. »Das sind die Maßnahmen, die vielleicht auch bei uns einmal notwendig werden, wenn wir hohe Quoten erreichen wollen«, sagte der Internist.

Global gesehen sind Covid-19-Impfkampagnen noch nicht weit fortgeschritten. Anfang April habe der WHO-Direktor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus beklagt, dass das Ziel, bis zum 10. April in allen Staaten der Welt mit den Covid-19-Impfungen zu beginnen, aufgrund von Impfstoffmangel nicht erreicht werden könne. Weite Teile Afrikas hätten noch gar keine Vakzine erhalten. »Wir brauchen eine globale Anstrengung, um die Impfung zum Erfolg zu machen«, sagte Sarrazin.

Belastungen für die Wirtschaft

Neben den Folgen für die Gesundheit hat die Corona-Pandemie auch ganz erhebliche Belastungen für die Wirtschaft mit sich gebracht. Welche Länder erfolgreich darin waren, den Schaden für das Bruttoinlandsprodukt bei gleichzeitigem Nutzen für die Gesundheit zu minimieren, hat das italienische Wirtschaftsinstitut Molinari untersucht. Starke wirtschaftliche Schäden bei gleichzeitig vielen Todesfällen seien in Großbritannien, Frankreich und Belgien zu verzeichnen gewesen. Im mittleren Bereich mit wenig wirtschaftlichem Schaden aber hoher Sterblichkeit lägen die USA, Schweiz und auch Schweden. Die »besten Länder« mit gutem Schutz der Wirtschaft und gleichzeitig geringen Todeszahlen seien Australien, Neuseeland und Südkorea. Auch Deutschland liege gerade noch in diesem günstigen Bereich, berichtete Sarrazin.

Insgesamt habe sich Deutschland bei der Bewältigung der Corona-Pandemie somit »ganz ordentlich im Mittelfeld« geschlagen, resümierte er.

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