Der ganze Körper ist betroffen |
Blutdruckmessung bei einem Covid-19-Patienten in New York. Auch das Herz-Kreislauf-System sowie die Blutgerinnung können von SARS-CoV-2 beeinträchtigt sein. / Foto: Imago/ZUMA Wire
In Erscheinung trat der damals noch unbekannte Erreger, der mittlerweile den Namen SARS-CoV-2 trägt, erstmals im Dezember 2019 in Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei in China. Schnell wurde klar, dass der Auslöser der ungewöhnlich vielen schweren Lungenentzündungen ein Coronavirus war, das mit dem Erreger des Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) eng verwandt ist. Die Krankheit, die es verursacht, erhielt später den Namen Covid-19: Corona Virus Disease 2019.
Mittlerweile hat sich SARS-CoV-2 auf der ganzen Welt verbreitet und Ärzte, die Patienten mit Covid-19 behandeln, stellen fest, dass es sich mitnichten »nur« um ein Lungenvirus handelt. Die Berichte über Covid-19-Manifestationen in anderen Organen als der Lunge häufen sich. Ein klares Bild zu zeichnen, ist schwierig, denn viele Publikationen erscheinen, ohne die sonst übliche Kontrollschleife des Peer-Review-Prozesses durchlaufen zu haben. Welche der zahllosen Beobachtungen aus Fallserien mit zum Teil nur einer Handvoll Patienten, die jetzt in aller Eile öffentlich gemacht werden, am Ende tatsächlich Bestand haben werden, ist nicht abzusehen.
Auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Science« wagt ein Autorenteam um die Wissenschaftsjournalistin Meredith Wadman dennoch einen Blick auf das große Ganze (DOI: 10.1126/science.abc3208). Das Virus verhalte sich wie kein Pathogen jemals zuvor, schreibt die Gruppe. Es kristallisiere sich immer mehr heraus, dass die Lunge zwar »Ground Zero« sei, dass aber außerdem auch viele andere Organe von der Infektion beeinträchtigt würden, darunter Herz, Blutgefäße, Niere, Darm und Gehirn. »Die Krankheit kann nahezu alles im Körper angreifen mit verheerenden Konsequenzen«, so der Kardiologe Professor Dr. Harlan Krumholz von der Yale University gegenüber »Science«.
Erste Eintrittspforte für das Virus sind Zellen des Nasen- und Rachenraums, die den Rezeptor für das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) tragen. Dieses ist als Gegenspieler von ACE im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System an der Blutdruckregulation beteiligt und schützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Über den ACE2-Rezeptor dringt SARS-CoV-2 in menschliche Zellen ein und programmiert diese dann so um, dass sie zunächst Tausende Kopien des Virus produzieren und dann zugrunde gehen (siehe Kasten).
Foto: PZ/Stephan Spitzer
PZ / Außer SARS-CoV-2 sind sechs humanpathogene Coronaviren (HCoV) bekannt: HCoV-229E, -NL63, -VOC43 und -HKU1, SARS-CoV-1 sowie MERS-CoV. Sie alle besitzen eine kugelförmige Struktur von 120 bis 160 nm Durchmesser und tragen auf ihrer Oberfläche etwa 20 nm große keulen- oder blütenblattförmige Oberflächenprojektionen, sogenannte Peplomere oder auch Spikes (S). Das Genom der Coronaviren ist eine 28 bis 32 Kilobasen große, positiv orientierte einzelsträngige RNA. Damit enthalten Coronaviren unter den RNA-Viren die größten Genome.
Die Viren infizieren menschliche Zellen über ihr S-Protein, das an Rezeptoren auf Wirtszellen bindet. Die verschiedenen HCoV nutzen dabei unterschiedliche Rezeptoren; SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 verwenden den ACE2-Rezeptor, einen Transmembranrezeptor, der auf Lungen-, Herz-, Nieren- und Magen-Darm-Gewebe exprimiert wird.
Nach der Rezeptorbindung gelangt das Virus, unterstützt durch eine säureabhängige proteolytische Spaltung des S-Proteins durch TMPRRS2, Cathepsin oder eine andere Protease, durch Fusion der viralen und zellulären Membranen ins Zytoplasma. Die Spaltung des S-Proteins erfolgt an zwei Stellen. Die erste ist wichtig für die Trennung der Rezeptorbindungsdomäne und der Fusionsdomäne des S-Proteins, die zweite für die Freilegung des Fusionspeptids. Die Membranfusion findet im Allgemeinen im sauren Millieu der Endosomen statt.
Darauf folgt die Translation des viralen Replikase-Gens (RNA-Polymerase), das aus zwei offenen Leserahmen besteht, die für zwei Polyproteine kodieren. Diese Polyproteine enthalten alle Nichtstrukturproteine (NSP) des Virus, also die Enzyme, die für die intrazelluläre Replikation wesentlich sind. Die Polyproteine werden durch Proteasen zu einzelnen NSP gespalten. Viele dieser NSP setzen sich dann zum Replikase-/Transkriptase-Komplex zusammen, der die virale RNA repliziert. Nach der Replikation werden die viralen Strukturproteine (SP) translatiert und in das endoplasmatische Retikulum eingefügt. Von dort wandern sie in den Golgi-Apparat, wo sie zu reifen Virionen zusammengebaut werden. /
Die Nase spielt bei der Infektion mit SARS-CoV-2 offenbar eine Schlüsselrolle. Wie ein Team um Dr. Waradon Sungnak vom Wellcome Sanger Institute in Hinxton herausfand und in »Nature Medicine« publizierte, kommen der ACE2-Rezeptor sowie die Protease TMPRSS2, die das Virus bevorzugt als Kofaktor für den Eintritt in menschliche Zellen nutzt, dort gehäuft vor (DOI: 10.1038/s41591-020-0868-6). »Wir haben gezeigt, dass von allen Zellen die schleimproduzierenden Becherzellen und Flimmerzellen in der Nase die höchsten Konzentrationen dieser beiden Proteine aufweisen«, sagte Sungnak der Nachrichtenagentur dpa.
Während das Virus im Nasen- und Rachenraum repliziert, spürt der Infizierte unter Umständen gar nichts. Auch ohne jegliche Symptome kann er andere Menschen mit SARS-CoV-2 infizieren, vor allem während der ersten paar Tage der Infektion. In einer weiteren Studie aus »Nature Medicine« begann die Infektiosität von Infizierten 2,3 Tage vor Auftreten der Symptome und erreichte 0,7 Tage vor den ersten Anzeichen der Krankheit ihren Höhepunkt (DOI: 10.1038/s41591-020-0869-5). Möglich sind in der Anfangsphase aber auch Fieber, trockener Husten, Halsschmerzen, Geruchs- oder Geschmacksverlust sowie Kopf- und Gliederschmerzen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.