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Weltnichtrauchertag

Der Einstieg in den Ausstieg

Alle Raucher wissen, dass sie ohne Nikotin gesünder leben, und jeder Dritte möchte aufhören. Das ist einfach, aber nicht leicht. Meist sind mehrere Anläufe nötig, bis der Rauchstopp gelingt. Der Weltnichtrauchertag am 31. Mai weist auf die Risiken des Rauchens hin.
Hannelore Gießen
31.05.2020  08:00 Uhr

Mark Twain hat es vorgemacht: »Mit dem Rauchen aufzuhören ist die einfachste Sache der Welt. Ich muss es wissen, denn ich habe es schon hundertmal ausprobiert.« Die eigentliche Herausforderung liegt darin, auf Dauer Nichtraucher zu bleiben.

Wie in jedem Jahr mahnt die Weltgesundheitsorganisation am 31. Mai zu einem Rauchstopp. Zwar wurde die Zigarette mittlerweile aus den meisten Restaurants, Bars und TV-Filmen verbannt und der Tabakkonsum verliert an Bedeutung, doch noch immer sterben weltweit fünf Millionen Menschen jährlich an dessen Folgen. Die meisten Raucher unternehmen mehrere Anstrengungen, um abstinent zu werden und zu bleiben. Nur auf die eigene Willenskraft gestützt sind nur 3 bis 5 Prozent von ihnen nach einem Jahr noch rauchfrei. Tatsächlich birgt Nikotin ein sehr hohes Abhängigkeitspotenzial, das eng mit seiner physiologischen Wirkung zusammenhängt.

Höhere Aufmerksamkeit, tiefere Entspannung

Nikotin wird innerhalb von rund 10 Sekunden ins Gehirn transportiert, so rasch wie kein anderer Stoff. Dort stimuliert die Substanz nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren, und im zentralen Nervensystem entstehen zusätzliche Andockstellen für Nikotin.

Außerdem fördert Nikotin die Ausschüttung des Hormons Adrenalin sowie der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin. In niedrigen Mengen hat es dadurch einen stimulierenden Effekt. Konzentration und Aufmerksamkeit nehmen zu, und Entspannung breitet sich im ganzen Körper aus: ein Effekt, der als Belohnung wahrgenommen wird. Durch klassische Konditionierung werden die angenehmen Gefühle beim Konsum an bestimmte Situationen, Tätigkeiten oder Schlüsselreize gekoppelt.

Toxische Folgen und Abhängigkeit

Bei starken Rauchern klingen die angenehmen Effekte schon innerhalb von 20 bis 30 Minuten wieder ab, sodass der Drang entsteht, erneut eine Zigarette anzuzünden. Bleibt neues Nikotin aus, kommt es zu Entzugserscheinungen wie Ärger, Aggressivität, Angst, depressiver Stimmung, Konzentrationsstörungen, Unruhe, Schlafstörungen und Appetitsteigerung – Symptome, die durch eine erneute Nikotinaufnahme unterdrückt werden und so einen Wiederholungskreislauf in Gang setzen.

Nikotin ist für das Entstehen von Abhängigkeit verantwortlich, Teer und zahlreiche andere Schadstoffe für körperlichen Schäden. Nikotin verengt die Blutgefäße. Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße und der äußeren Gliedmaßen sind die Folge. Das Thromboserisiko steigt, die Atmungsorgane leiden. Die Schäden reichen von einer chronischen Bronchitis bis hin zu Lungenkarzinomen. 90 bis 95 Prozent dieser Tumoren werden als direkte Folge des Rauchens eingeschätzt. Insgesamt wird mehr als ein Drittel aller Krebserkrankungen auf Tabakrauch zurückgeführt.

Die Frühgeburtsrate liegt bei rauchenden Frauen um 30 Prozent höher als bei Nichtraucherinnen. Die Neugeborenen haben ein geringeres Geburtsgewicht und sind oft kleiner. Etwa ein Drittel behält dauerhaft körperliche oder geistige Schäden.

Abhängigkeit erkennen

Die S3-Leitlinie zur Prävention, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Konsums aus dem Jahr 2015 (AWMF-Registernummer 076 – 006) wird derzeit überarbeitet. Sie grenzt die Erfassung des Tabakkonsums von der Diagnose »Tabakabhängigkeit« ab.

Beim Tabakkonsum unterscheidet man zwischen Gelegenheits- und regelmäßigen Konsumenten und erfasst die Menge des Zigarettenkonsums in Zigaretten pro Tag. Dauer und Intensität des Konsums wird in »pack years« angegeben, dem Produkt aus durchschnittlicher Zahl der Zigarettenschachteln pro Tag und Anzahl der Jahre, seit denen geraucht wird.

Wie viel Nikotin konsumiert wird, lässt sich aber nicht nur rechnerisch, sondern auch biochemisch ermitteln. Nikotin wird rasch abgebaut, doch sein Hauptmetabolit Cotinin eignet sich mit einer Halbwertszeit von 16 bis 22 Stunden als Maß für den Tabakkonsum. Nikotin und Cotinin können quantitativ im Urin, Speichel oder Serum bestimmt und damit die Nikotinaufnahme in den Körper ermittelt werden. Auch bei Passivrauchern findet sich Cotinin in den Körperflüssigkeiten.

Die Diagnose »Abhängigkeit« wird entsprechend der aktuellen Internationalen Klassifikation von Krankheiten ICD-10 gestellt, wenn mindestens drei von acht der folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • übermächtiger Konsumwunsch oder -zwang,
  • Kontrollverlust bezüglich des Beginns, der Menge und des Endes des Konsums,
  • körperliches Entzugssyndrom,
  • Konsum zur Vermeidung von Entzugssymptomen,
  • Vernachlässigung anderer Interessen,
  • Toleranzentwicklung,
  • eingeengtes Verhaltensmuster und
  • Konsum trotz nachteiliger Folgen (psychisch, physisch, sozial).

Ein weltweit etabliertes Verfahren, um zu messen, ob und wie stark ein Raucher abhängig ist, ist der Fagerström-Test (Kasten). Entwickelt wurde er von dem schwedischen Arzt Professor Dr. K.O. Fagerström. Der Fagerström-Test für Zigarettenabhängigkeit ist in Behandlungsstudien weit verbreitet und hat eine hohe Zuverlässigkeit und Gültigkeit zur Vorhersage kurz- oder langfristig erreichbarer Abstinenz.

Motivation anbahnen, Abhängigkeit verlernen

So wie Abhängigkeit erlernt wurde, kann sie auch wieder verlernt werden. Das Suchtgedächtnis, entstanden durch die pharmakologische Wirkung von Nikotin und gekoppelt an Wohlbefinden und Entspannung, kann nach und nach überschrieben werden.

Um die Macht der Rituale zu brechen, hat sich besonders eine kognitive Verhaltenstherapie bewährt. Dieser Ansatz hat in den letzten Jahrzehnten eine ganze Palette an Interventionsmethoden hervorgebracht und verfeinert, die darauf abzielen, festsitzende Muster der Wahrnehmung, des Denkens und der Einstellung zu verändern.

Sehr erfolgreich ist das »Rauchfrei-Programm«, das vom Institut für Therapieforschung (IFT) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) entwickelt wurde. Das Programm ist aus dreimal drei Stunden aufgebaut: Kleine Gruppen von sechs bis zwölf Teilnehmern setzen sich beim ersten Treffen mit der Macht ihrer Gedanken und Gefühle auseinander, wobei die Ambivalenz widerstreitender Motive durch den Gruppenleiter noch verstärkt wird. So werde den Teilnehmern bewusst, was sie tatsächlich am Rauchverzicht hindert, berichtet Dr. Tobias Rüther, Leiter der Tabakambulanz am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München, im Gespräch mit der PZ. Ein zeitlich genau definierter Rauchstopp wird für das zweite Treffen festgelegt, während der dritte Teil sich intensiv mit der Rückfallprophylaxe auseinandersetzt: Welche Situationen sind besonders kritisch? Welche Strategien kann ein Ex-Raucher entwickeln, um dann nicht zur Zigarette zu greifen? »Wir arbeiten gezielt mit Bildern, um den Gewinn durch ein rauchfreies Leben bewusst zu visualisieren«, beschreibt der Suchtmediziner diesen Teil des Programms.

Für Senioren bildet oft die geringe körperliche Reserve den Anstoß, um sich zu einem Raucherentwöhnungskurs zu entschließen. »Aufgrund ihrer Lebenserfahrung arbeiten sie oft besonders gut mit und genießen danach die neu gewonnene Lebensqualität und Gesundheit«, erläutert Rüther. Schwangere Frauen ziehen dagegen meist eine Einzelberatung vor, da Rauchen während der Schwangerschaft in der Gesellschaft extrem stigmatisiert ist.

Doch nicht nur dieser längere, ausgefeilte Weg einer Gruppentherapie bringt Erfolge auf dem Weg zum Nichtraucher, sondern verblüffenderweise auch Kurzinterventionen. Bereits dreiminütige Gespräche in der Arztpraxis können einen Anstoß zum Rauchstopp bringen. »Nach dem Arzt ist es der Apotheker, der den entscheidenden Impuls geben kann, um das Rauchen aufzugeben«, betont Rüther.

Nikotin ohne Kick

Ziel einer Nikotinsubstitution ist es, Substanzzufuhr und Rauchen zu entkoppeln und damit den psychotherapeutischen Entwöhnungsprozess zu unterstützen. Nikotin-Ersatzpräparate führen dem Körper Nikotin zu, ohne ihn mit den im Zigarettenrauch enthaltenen anderen Stoffen zu belasten. So können Entzugssymptome gemildert und das Aufhören erleichtert werden.

Besonders gleichmäßig wirken Nikotinpflaster, die als Membran- oder Matrixpflaster (Transdermale therapeutische Systeme, TTS) in drei unterschiedlichen Stärken auf dem Markt sind. Eine stufenweise Reduktion der Zufuhrmenge über zwei oder drei Stärken senkt langsam den Nikotinspiegel im Blut, sodass idealerweise im Verlauf von zwölf Wochen der Ausstieg aus dem Zigarettenkonsum gelingt.

Membranpflaster enthalten ein Arzneistoffreservoir, aus dem der Wirkstoff über eine Polymermembran langsam freigesetzt wird. Dieses Reservoir wird während der Anwendungsdauer keineswegs vollständig geleert, sodass Membranpflaster – um die gleiche Wirkung zu erzielen – eine weitaus höhere Wirkstoffmenge enthalten müssen als Matrixpflaster. Bei diesen ist der Wirkstoff in eine gelartige Matrix eingebettet, aus der er konstant abgegeben wird.

TTS sind in einer 24-Stunden- und einer 16-Stunden-Version verfügbar. Die 16-Stunden-TTS ermöglichen ein nikotinfreies Nachtintervall, wirken bei morgiger Anwendung allerdings erst nach einer bis zwei Stunden. Das Defizit kann mit einem kurz wirksamen Nikotinsubstitut wie Mundspray, Lutschtabletten oder Kaugummi ausgeglichen werden. Auch bei starken Rauchern deckt das Pflaster allein den Nikotinbedarf oftmals nicht ab.

Häufig dosieren Patienten die Substitutionspräparate allerdings zu gering und wenden sie zu kurz an, sodass sich kein Erfolg einstellt. Die Dosierung soll der Stärke des Zigarettenkonsums angepasst werden. Besonders bei kurz wirksamen Produkten ist es wichtig, sie regelmäßig und rechtzeitig anzuwenden, beispielsweise nach einem festen Zeitschema.

Eine erfolgreiche Raucherentwöhnung scheitert nicht selten am Geld. Offenbar scheuen viele die Kosten für eine ausreichend hoch dosierte Nikotin-Substitution, aber auch die Gebühr von etwa 250 € für einen Gruppenkurs. Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) können sich an den Kosten beteiligen, sind aber nicht dazu verpflichtet.

Bremsen für das Dopamin

Um eine Raucherentwöhnung darüber hinaus medikamentös zu unterstützen, gibt es zwei Grundprinzipien. Der Wirkstoff Bupropion hemmt die Wiederaufnahme der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin in den synaptischen Spalt und wirkt so einem Suchtverlangen entgegen. Bupropion ist verschreibungspflichtig. Gerade zu Beginn der Therapie kann es zu Erregungszuständen und anderen psychischen Störungen kommen. Die Therapie muss besonders zu Beginn engmaschig überwacht werden, um einen möglichen Anstieg der Leberenzyme im Blick zu behalten.

Bupropion ist ein Inhibitor des Cytochrom-P450-Systems und interagiert daher mit CYP2D6-metabolisierten Pharmaka. Dazu gehören unter anderem trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Betablocker wie Metoprolol, die Opioide Tramadol, Codein und Dextromethorphan sowie der selektive Estrogenrezeptor-Modulator Tamoxifen.

Eine Kombination von Bupropion mit kurz wirksamen Nikotinpräparaten ist laut der Leitlinie möglich und wird auch empfohlen, vor allem bei Rauchern mit einer Depression in der Vorgeschichte.

Der andere pharmakologische Ansatz ist Vareniclin, das als partieller Agonist an nikotinergen Acetylcholin-Rezeptoren dafür sorgt, dass Dopamin in geringerer Menge freigesetzt wird. Dadurch senkt die Substanz das Verlangen nach Nikotin und die Entzugssymptome lassen nach. Gleichzeitig verhindert Vareniclin, dass Nikotin an den Rezeptor gebunden wird. Auf diese Weise wird das Belohnungsgefühl gedämpft, wenn ein Raucher während eines Entzugs rückfällig wird.

In der S3-Leitlinie wird die Verwendung von Vareniclin empfohlen, wenn eine leitliniengerechte Nikotinersatztherapie nicht ausreichend wirksam war.

E-Zigaretten

Alle E-Zigaretten funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Sie enthalten einen kleinen Tank mit Flüssigkeit (Liquid) und eine Heizspirale. Die Spirale wird durch eine Batterie oder einen Akku erhitzt und sorgt dafür, dass die Flüssigkeit verdampft und inhaliert werden kann.

»E-Zigaretten sind weniger schädlich als normale Zigaretten, aber nicht gesünder«, lautet Rüthers Kommentar. Beim Verbrennen von Tabak entstehen viele krebserregende Substanzen wie Blausäure und Formaldehyd. E-Zigaretten kommen ohne Tabak aus und setzen daher deutlich weniger schädliche Substanzen frei. Allerdings enthalten sie neben dem Vernebelungsmittel Propylenglykol und Glycerin unterschiedliche Aroma- und Duftstoffe.

Führende ärztliche Fachgesellschaften stufen die E-Zigarette deshalb als Option zur »Harm Reduction« ein. Die S3-Leitlinie zum Tabakkonsum wird derzeit überarbeitet und wird E-Zigaretten als eine Möglichkeit beschreiben, den Schaden durch Rauchen und durch Tabakprodukte zu begrenzen. Empfohlen werde dieser Weg für Raucher ohne Abstinenzmotivation, die dauerhaft ihren Tabakkonsum einschränken wollen, erläutert der Arzt. E-Zigaretten können auch eine vorübergehende Alternative bei Abstinenzmotivation bis zum endgültigen Rauchstopp darstellen.

Gute Chancen für den Rauchstopp

Ein starker Raucher hat mit einer verhaltenstherapeutisch orientierten Therapie eine Chance von etwa 30 Prozent, dauerhaft rauchfrei zu bleiben. Werden zusätzlich zur Verhaltenstherapie noch Medikamente eingesetzt, erhöhe sich die Erfolgsquote auf 40 bis 50 Prozent, berichtet der Münchner Suchtmediziner aus den Erfahrungen der Tabakambulanz.

Ein Rauchstopp verbessert sehr schnell Blutdruck, Sauerstoffversorgung und Lungenfunktion. Langfristig sinkt nach einer Tabakentwöhnung auch die Gefahr von Tumorerkrankungen, in erster Linie von Lungenkrebs.

Seit einigen Wochen hat eine gute Lungenfunktion noch eine ganz andere Aktualität gewonnen. Das Coronavirus SARS-CoV-2 greift vor allem die Lunge an – noch ein Grund mehr für den Rauchstopp. Welche Rolle das Alkaloid Nikotin dabei genau spielt, ist zurzeit noch nicht klar und wird kontrovers diskutiert. »Doch wird bei einer manifesten Covid-19-Erkrankung eine Beatmung nötig, haben Raucher schlechtere Chancen als Nichtraucher. Tabakkonsum ist bis jetzt einer der wenigen Faktoren bei einer SARS-CoV-2-Infektion, den wir selbst beeinflussen können«, bringt Rüther es auf den Punkt.

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