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Larotrectinib

Dem IQWiG fehlen noch Daten

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht sich momentan außerstande zu beurteilen, ob Larotrectinib, der erste Gewebe-unabhängige Kinasehemmer bei Krebs, einen Zusatznutzen hat. Hersteller Bayer habe noch keine entsprechenden Daten eingereicht. Angesichts des außergewöhnlichen Studiendesigns sei das zwar schwierig, aber nicht unmöglich.
Annette Mende
16.01.2020  12:16 Uhr

Voraussetzung für die Anwendung von Larotrectinib (Vitrakvi®) ist der Nachweis einer NTRK-Genfusion als Treiber einer Krebserkrankung. Wo der Tumor sich befindet, spielt keine Rolle. Das ist ein Novum, denn bislang wurden neue Onkologika stets zur Behandlung von bestimmten Tumorentitäten geprüft und zugelassen – bevor dann unter Umständen im Zuge von Indikationserweiterungen noch weitere hinzukamen. Da NTRK-Genfusionen bei vielen verschiedenen Tumorarten vorkommen, in jeder einzelnen aber meist nur selten, war dieser Ansatz bei Larotrectinib jedoch nicht praktikabel.

Hersteller Bayer wählte stattdessen für eine der Zulassungsstudien das Design einer sogenannten Basket-Studie, bei dem die Teilnehmer nicht nach der Lokalisation ihres Tumors, sondern nach einer bestimmten Mutation rekrutiert werden. Einen Vergleichsarm hatte diese Studie allerdings genauso wenig wie die anderen Studien, die dem IQWiG vorgelegt wurden, bemängelt das Institut in einer aktuellen Pressemitteilung. Als zweckmäßige Vergleichstherapie hätten laut IQWiG best supportive Care oder hilfsweise auch andere Therapien gegolten. Da diese fehlten, könne keine Aussage zu einem Zusatznutzen abgeleitet werden, weshalb dieser nicht belegt sei.

Laut IQWiG führt der Hersteller in seinem Dossier mehrere Effekte an, die er als so groß einordnet, dass sie trotz fehlender Vergleiche eine Aussage ermöglichen sollen. So betrage das mediane Gesamtüberleben der schwerstkranken Betroffenen unter Larotrectinib im letzten Datenschnitt 44,4 Monate; die Zeit bis zur Progression sei bei etwa einem Drittel von ihnen mindestens fünfmal so lang wie unter ihrer vorigen systemischen Therapie; etwa ein Sechstel der Patienten erreiche eine vollständige Remission; und bei etlichen Kindern habe man eine Amputation der betroffenen Gliedmaßen vermeiden können. Auch die Symptomatik und die gesundheitsbezogene Lebensqualität hätten sich bei vielen signifikant verbessert und der Wirkstoff zeitige kaum schwere Nebenwirkungen.

Um diese Effekte trotz fehlender Vergleichsdaten ins Verhältnis zu den derzeit verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten zu setzen, wertete das IQWiG laut eigener Aussage auch Studiendaten zu anderen Wirkstoffen aus, die bei den 15 Tumorentitäten, gegen die Larotrectinib in den Zulassungsstudien gegeben wurde, eingesetzt werden. Sein Fazit: »Im Endpunkt Gesamtüberleben sind die bislang beobachteten Unterschiede zwischen Larotrectinib und anderen Therapien bei keiner der Krebserkrankungen so groß, dass sie nicht auch auf systematischer Verzerrung beruhen könnten. Und zu patientenrelevanten Endpunkten aus den Kategorien Morbidität, gesundheitsbezogene Lebensqualität und Nebenwirkungen lagen entweder für den neuen Wirkstoff oder für die Vergleichstherapien keine geeigneten oder nach dem Tumortyp differenzierten Daten vor, sodass sich auch hier kein Zusatznutzen ableiten lässt.«

»Vieles deutet auf ein großes Potenzial des Wirkstoffs hin. Aber selbst für eine ›frühe Nutzenbewertung‹ kann es manchmal zu früh sein – nämlich dann, wenn die vorgelegten Daten keine sinnvollen Vergleiche ermöglichen«, sagt der stellvertretende IQWiG-Leiter Privatdozent Dr. Stefan Lange. Auch in Basket-Studien könne es Kontrollgruppen geben, wobei die Kontrolle durchaus aus best supportive Care bestehen könne. Lange betont, dass das IQWiG international nicht das einzige Institut ist, das sich mit der Nutzenbewertung von Larotrectinib schwertut: In Kanada sei kürzlich die reguläre Kostenerstattung für den Wirkstoff abgelehnt worden und Mitarbeiter des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) diskutierten gerade im »British Medical Journal« die vielen Herausforderungen bei der Nutzenbewertung dieser Art von Medikamenten. Das IQWiG sehe im Mangel geeigneter Daten das Haupthindernis für eine angemessene Bewertung.

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