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Resilienz

Das Immunsystem der Psyche stärken

Wie sehr in Krisenzeiten die psychische Gesundheit leidet, hängt nicht nur davon ab, wie hart das Schicksal zuschlägt. Entscheidend ist auch die persönliche Resilienz. Diese seelische Widerstandskraft lässt sich trainieren.
Clara Wildenrath
22.12.2022  18:00 Uhr

Krisen und Schicksalsschläge können einen Menschen aus der Bahn werfen. Auch angesichts globaler Gesundheitsbedrohungen, Klimakatastrophen oder Energiekrisen fällt es zunehmend schwer, das innere Gleichgewicht zu bewahren. Hinzu können schwierige persönliche Lebensumstände, Stress im Job, Geldsorgen oder Erkrankungen kommen. Solche Belastungen wirken sich bei manchen Menschen stärker auf die psychische Gesundheit aus als bei anderen. Die psychische Widerstandskraft, die Menschen auch unter widrigen Umständen den Lebensmut nicht verlieren lässt, heißt Resilienz.

Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Werkstoffphysik und beschreibt die Fähigkeit eines Materials, nach einer äußeren Einwirkung wieder in seine Ausgangsform zurückzukehren. In der Psychologie ist der Ausdruck seit den 1970er-Jahren gebräuchlich. Analog zur physikalischen Bedeutung definiert man hier Resilienz als Fähigkeit, in Stresssituationen die psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten oder rasch wiederherstellen zu können. Manchmal wird Resilienz auch als Immunsystem der Psyche bezeichnet. So wie Viren und Bakterien den Körper angreifen, belasten Alltagsstress, Krisen und Schicksalsschläge die Psyche. Resilienz hilft, die psychische Gesundheit zu bewahren.

Die Resilienz lässt sich in drei Subtypen mit verschiedenen Bewältigungsszenarien unterteilen. Das Bild eines Baums, der heftigem Wind ausgesetzt ist, verdeutlicht sie: Ein massiver Stamm kann den Sturm unbeschadet überstehen – das ist Resistenz. Vielleicht wird der Baum auch durchgeschüttelt und die Äste verbiegen sich, nehmen danach jedoch wieder ihre alte Form ein. Dann spricht man von Regeneration. Möglich ist aber auch, dass die Äste dauerhaft ihre Wuchsrichtung ändern, um künftigen Stürmen weniger Angriffsfläche zu bieten. Diese Resilienzstrategie heißt Rekonfiguration.

Ursprünge der Resilienzforschung

Als Pionierin der Resilienzforschung gilt die US-amerikanische Psychologin Professor Dr. Emmy Werner. In einer prominenten Längsschnittstudie begleitete sie 40 Jahre lang knapp 700 Kinder des Geburtsjahrgangs 1955 auf der hawaiianischen Insel Kauai. Sie stellte fest: Kinder, die unter besonders schwierigen Bedingungen aufwuchsen – Armut, Vernachlässigung, Gewalt in der Familie –, zeigten als Jugendliche häufiger Verhaltensstörungen oder psychiatrische Auffälligkeiten als Kinder, die weniger Belastungen ausgesetzt waren. Etwa ein Drittel der Kinder aus der Hochrisikogruppe entwickelte sich jedoch erstaunlich positiv: Trotz der schwierigen Umstände, unter denen sie aufgewachsen sind, führten sie ein erfolgreiches Leben, gingen langfristige Beziehungen ein und waren angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Im Alter von 40 Jahren lagen Sterblichkeit, Krankheits- und Scheidungsrate deutlich niedriger als bei ihren Altersgenossen innerhalb der Hochrisikogruppe. Als wichtige Schutzfaktoren erwiesen sich eine fürsorgliche Bezugsperson innerhalb oder außerhalb der Familie, hohe Problemlösefähigkeit, Religiosität und gute soziale Einbindung.

Diese resilienzfördernden Eigenschaften bestätigten sich in späteren Studien. Das Verständnis von Resilienz wandelte sich mit der Zeit jedoch: Zu Beginn gingen Forschende davon aus, dass Resilienz ein feststehendes Persönlichkeitsmerkmal ist, das durch die Gene und frühkindliche Einflüsse bestimmt wird. »Heute wissen wir, dass wir Resilienz über die gesamte Lebensspanne erwerben«, erklärt Dr. Isabella Helmreich, Leiterin des Bereichs »Resilienz und Gesellschaft« am Mainzer Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) im Gespräch mit der PZ. Die psychische Widerstandskraft wächst aus dem Zusammenspiel von neurobiologischen, psychologischen und sozialen Faktoren.

Zwillingsstudien legen nahe, dass 30 bis 50 Prozent der Resilienz eines Menschen genetisch bedingt sind. Gut erforscht ist zum Beispiel der Einfluss des 5-Hydroxytryptamin-Transporter-Gens (5-HTT-Gens), das in verschiedenen Varianten vorliegen kann. Der 5-HTT sorgt dafür, dass freigesetztes Serotonin aus dem synaptischen Spalt wieder in die Zellen aufgenommen und die Wirkung des Neurotransmitters beendet wird. Ergebnisse einer neuseeländischen Langzeitstudie belegen: Ob jemand eine kürzere oder längere Variante des 5-HTT-Gens in sich trägt, wirkt sich entscheidend auf das Depressionsrisiko nach belastenden Lebensereignissen aus. Auch das Gen für das Enzym Monoaminooxidase-A (MAO-A) scheint mit seinen zwei Hauptvarianten die Widerstandsfähigkeit gegenüber Schicksalsschlägen zu beeinflussen. Immer jedoch bedarf es eines Zusammenwirkens von Umwelteinflüssen und Lebenserfahrungen, damit schützende oder risikofördernde Eigenschaften eines Gens zum Tragen kommen.

Resilienz ist ein dynamischer Prozess

Die gute Nachricht ist: Resilienz lässt sich trainieren. Unsere psychische Widerstandskraft ist ein Kontinuum – ein lebenslanger dynamischer Prozess, den wir durch unser Denken und Handeln aktiv beeinflussen können. »Wir kennen heute eine ganze Reihe evidenzbasierter Faktoren, die sich in vielen wissenschaftlich hochwertigen Studien als trainierbar und mit Resilienz assoziiert erwiesen haben«, sagt Helmreich. Als wichtigen Punkt nennt die psychologische Psychotherapeutin das sogenannte aktive Coping, also die aktive Bewältigung von Stress. Sie unterscheidet dabei zwischen dem problemorientierten und dem emotionsorientierten Coping: Bei Ersterem geht es darum, die belastende Situation zu verändern, bei Letzterem um die Auseinandersetzung mit damit verbundenen unangenehmen Gefühlen wie Angst oder Trauer.

Welche Strategie besser geeignet ist, um ein Problem zu bewältigen, hängt vor allem davon ab, wie stark es dem eigenen Einfluss unterliegt. »Wenn ich eine Situation nicht verändern kann, hilft es, das anzuerkennen und eine neue Sichtweise darauf zu finden«, erklärt Helmreich. Nicht gegen negative Emotionen anzukämpfen, sondern den Blick bewusst auf positive Aspekte zu richten, kann einer Krise das zerstörerische Potenzial nehmen, Distanz schaffen und neue Handlungsspielräume eröffnen. Nachweislich positiv wirkte sich in verschiedenen Studien das sogenannte expressive Schreiben aus – also die schriftliche Auseinandersetzung mit belastenden Gefühlen in einem Tagebuch.

Um zu erkennen, wie sich die Widrigkeiten des Lebens am besten bewältigen lassen, ist eine gewisse kognitive Flexibilität erforderlich. Resiliente Menschen können sich rasch auf sich verändernde Gegebenheiten einstellen und neue Lösungen finden. Wenn sie feststellen, dass ein Weg nicht zum gewünschten Ziel führt, überlegen sie sich alternative Handlungsstrategien. Helmreich nennt ein einfaches Beispiel: »Wenn ich auf einen frei werdenden Parkplatz vor mir warte und plötzlich im Rückspiegel sehe, dass ein Auto wegfährt, lege ich schnell den Rückwärtsgang ein.« Die kognitive Flexibilität kann man im Alltag trainieren, indem man beispielsweise hin und wieder neue Wege zur Arbeit nimmt, seine Gewohnheiten durchbricht und sich mit anderen Menschen und Sichtweisen auseinandersetzt.

Schutzfaktoren der Resilienz

Als einer der bedeutendsten und am besten belegten Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit gilt soziale Unterstützung. Laborexperimente belegen, dass die Cortisolausschüttung, der Blutdruck und der Puls in einer stressvollen Situation weniger stark in die Höhe gehen, wenn Menschen eine Unterstützungsperson dabeihaben. »Ein funktionierendes soziales Netzwerk ist ein wichtiger Schutzschild gegen Belastungen«, bestätigt Helmreich. Dabei habe es sich als unerheblich erwiesen, ob die Unterstützung privater oder professioneller Natur sei.

Sie unterscheidet drei Formen von sozialem Beistand: informationelle Unterstützung, also das Bereitstellen von Wissen und Beratung, instrumentelle Unterstützung durch konkrete Hilfsangebote und emotionale Unterstützung, die sich durch Zuhören und Verständniszeigen äußert. »Interessanterweise kommt es bei der sozialen Unterstützung gar nicht so sehr darauf an, dass ich sie tatsächlich erhalte«, führt Helmreich aus. »Es geht vielmehr um die subjektive Empfindung, dass ich sie bei Bedarf in Anspruch nehmen kann.«

Stärken kann man sein soziales Netz, indem man sich zunächst bewusst macht, welche Menschen einen in seinem Leben umgeben und auf wen man zählen kann – und solchen Beziehungen dann gezielt mehr Zeit widmet. Vielleicht lässt sich auch der eine oder andere eingeschlafene Kontakt aus früheren Zeiten wiederbeleben. Was immer gut ist: anderen Menschen Hilfe anbieten oder eine Freude bereiten. Das stärkt auch die eigene Psyche und fördert ein stabiles Beziehungsnetz.

Selbstwirksamkeit, Selbstwertgefühl und Spiritualität

Neben der sozialen Einbindung ist die Selbstwirksamkeitserwartung ein wichtiger Stützpfeiler der Resilienz. »Selbstwirksamkeit ist die subjektive Überzeugung, herausfordernde Situationen aus eigener Kraft bewältigen zu können«, erläutert die LIR-Psychologin. Wer daran glaubt, Dinge verändern zu können, fühlt sich nicht als Opfer, sondern als Schöpfer seiner Welt. Selbstwirksamkeit entsteht durch die Erinnerung an eigene Erfolgserlebnisse und bereits überwundene Krisen, aber auch durch sogenanntes Modelllernen: »Wenn ich Vorbilder habe, die ihren Kompetenzen vertrauen, kann ich mir das von ihnen abschauen und lernen, meine eigenen Stärken zu würdigen.« Verbale Ermutigung – Sätze wie »Ich glaube an dich!« – und das positive Feedback anderer können ebenfalls die Selbstwirksamkeit stärken. In ähnlicher Weise wirken Selbstaffirmationen wie »Ich schaffe das«.

Doch was kann der Einzelne gegen globale Bedrohungen tun? Im Angesicht von Kriegen oder Klimawandel fühlen sich viele Menschen machtlos und unbedeutend. Aber auch hier lässt sich Selbstwirksamkeit erleben: durch aktives Handeln im persönlichen Umfeld. Ob man etwa einem Helferkreis für Kriegsflüchtlinge seine Unterstützung anbietet, sich im Umweltschutz engagiert oder einfach nur häufiger mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fährt – seinen eigenen kleinen Beitrag zu leisten, verringert das Ohnmachtsgefühl.

Auch ein gutes Selbstwertgefühl war in Studien mit einer höheren Lebenszufriedenheit und einem geringeren Risiko für eine psychische Störung assoziiert. »Eine liebevolle und akzeptierende Haltung sich selbst gegenüber hilft, bei Misserfolgen oder Kritik nicht gleich die eigene Kompetenz vollständig infrage zu stellen«, erläutert Helmreich. Um das Selbstwertgefühl zu stärken, hat sich beispielsweise Achtsamkeitstraining bewährt.

Religiosität und Spiritualität bezeichnet die LIR-Forscherin als einen janusköpfigen Resilienzfaktor. Der Glaube an Gott oder eine höhere Macht kann in schwierigen Zeiten Kraft schenken. Zudem fördert die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder spirituellen Gemeinschaft die soziale Integration. Wer jedoch Schicksalsschläge als gottgegeben sieht, kann sich ausgeliefert und machtlos fühlen, was sich auf die Resilienz negativ auswirkt.

Unabhängig von Religion kann die Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens und dem eigenen Wertesystem helfen, Krisen zu überstehen. Schon Friedrich Nietzsche, der das Wort Resilienz vermutlich noch nicht kannte, wusste: »Hat man sein Warum des Lebens, so verträgt man sich mit fast jedem Wie.«

Optimismus stärkt die Resilienz

Resilienzfördernd wirken darüber hinaus Optimismus und ein bewusster Blick auf die schönen Dinge des Lebens. Dabei komme es nicht darauf an, wie intensiv wir Freude, Begeisterung oder Glück erleben, so Helmreich. Wichtig sei vielmehr die Häufigkeit, mit der wir positive Emotionen wahrnehmen: »Das kann das Lächeln eines Menschen sein, die Sonne oder der Gesang der Vögel.« Resiliente Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch in schweren Zeiten das Bewusstsein für Positives bewahren. »Eine gute Möglichkeit, das zu üben, ist ein allabendlicher positiver Tagesrückblick oder ein Dankbarkeitstagebuch, in das ich jeden Tag mindestens drei Dinge notiere, für die ich heute dankbar war.«

Die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen noch den Blick für das Positive zu behalten, sehen Resilienzforscher weniger als Einzelfaktor für eine gute psychische Widerstandskraft, sondern vielmehr als übergeordneten Mechanismus. In der Fachliteratur findet sich dafür die Abkürzung PASTOR (positive appraisal style theory of resilience, zu Deutsch: Resilienztheorie eines positiven Bewertungsstils). Ein positiver Bewertungsstil kann sich demnach auf mehrere Resilienzfaktoren förderlich auswirken, etwa auf die aktive Stressbewältigung, die Suche nach neuen Werten und die Stärkung sozialer Beziehungen. Auch ein gutes Kohärenzgefühl – also die Tendenz, Anforderungen als verstehbar, bewältigbar und sinnhaft zu empfinden – ordnet Helmreich den übergeordneten Resilienzfaktoren zu. Ob und wie das Kohärenzgefühl trainierbar ist, ist allerdings umstritten.

Welche dieser zahlreichen Resilienzfaktoren für den Einzelnen wichtig seien, sei individuell sehr unterschiedlich, betont die Expertin für Gesundheitsprävention: »Ein Arbeitnehmer im Schichtdienst hat ein anderes Set als ein Selbstständiger.« Zudem sei Resilienz immer abhängig von den jeweiligen Stressoren. Manche Menschen können besser mit hohen beruflichen Belastungen umgehen, andere sind im privaten Bereich belastbarer. Ein gewisses Maß an Stress habe sich sogar als resilienzfördernd erwiesen. »Mit schwierigen Situationen konfrontiert zu werden, hilft dabei, Bewältigungsstrategien aufzubauen«, erklärt Helmreich.

Dieses Phänomen der Stressimpfung wurde zuerst bei Schimpansen beobachtet: Junge Affen, die immer wieder kurz von ihren Müttern getrennt wurden, zeigten zwar akute Stresssymptome. Im Alter von drei Jahren konnten sie aber besser mit Belastungssituationen umgehen als ihre Altersgenossen. Das Gleiche gelte für Menschen: »Kinder, die nicht von allen unangenehmen Erfahrungen abgeschirmt werden, sondern auch Scheitern erfahren dürfen, sind im späteren Leben stressresistenter.«

Resilienz gezielt fördern

Um die persönliche Resilienz zu stärken, empfiehlt Helmreich, sich zunächst einmal die vorhandenen Ressourcen bewusst zu machen. Welche Schutzfaktoren sind schon gut ausgeprägt, welche noch verbesserungsfähig? Im nächsten Schritt könne man dann spezifische Fähigkeiten trainieren – zum Beispiel mithilfe von Selbsthilfeliteratur. Manchmal verhindere allerdings eine dysfunktionale Einstellung, dass Resilienzfaktoren genutzt würden. Zum Beispiel, wenn jemand zwar ein gutes soziales Netz besitzt, aber sich von niemandem helfen lassen will. Solche Hindernisse zu erkennen und aus dem Weg zu räumen, kann ohne professionelle Hilfe schwierig sein.

Das LIR und andere Organisationen bieten mittlerweile zahlreiche Interventionen zur Stärkung der individuellen Resilienz an. Viele basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie und der positiven Psychologie. Das Spektrum reicht von persönlichem Coaching über Online-Angebote bis zur Smartphone-App. »Einen Goldstandard gibt es bislang nicht«, sagt Helmreich, »aber ein gutes Qualitätskriterium ist das Prüfsiegel der Zentralen Prüfstelle Prävention.«

Wichtig sei neben einem wissenschaftsbasierten, zielgruppenspezifischen Ansatz dabei auch die Bestimmung des aktuellen Resilienzniveaus sowie der vorhandenen Ressourcen. »Häufig werden dazu Fragebögen eingesetzt. In der Forschung gehen wir noch einen Schritt weiter und messen einerseits die psychische Gesundheit und andererseits die jeweiligen Mikro- und Makrostressoren – also die Alltagsbelastung und große Ereignisse wie Heirat, Tod eines Angehörigen oder Krankheit. Daraus ergibt sich ein quantitativer Score.« Anhand dieses Werts lasse sich sowohl die Resilienz verschiedener Personen vergleichen als auch der Effekt einer Intervention beurteilen.

Neben dem klassischen psychologischen Training, in dem zum Beispiel Stressbewältigungsmöglichkeiten geübt werden, werden zur Intervention zunehmend auch neurobiologische Methoden genutzt. So sollen Biofeedbackverfahren Lernprozesse stimulieren, indem sie Körperreaktionen wie Atemfrequenz, Hautleitwert oder Muskelanspannung bewusst machen. In Studien ließ sich beispielsweise durch die grafische Darstellung von Gehirnströmen im Elektroenzephalogramm (EEG) die Emotionsregulation von Soldaten beeinflussen und das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung verringern. Die transkranielle Magnet- oder Ultraschallstimulation gilt ebenfalls als vielversprechende neue Strategie zur Resilienzstärkung.

Auch pharmakologische Interventionen werden untersucht. Studien an Tieren zeigten beispielsweise, dass die Gabe von Ketamin vor einer Belastungssituation negative Stressfolgen mildern kann. Ein potenzieller Kandidat ist auch der Transmitter Neuropeptid Y, der die Verarbeitung von Angst und Stress verbessern könnte.

Systemische Resilienzfaktoren

Während der Fokus der Resilienzforschung in ihren Anfängen vornehmlich auf der Identifizierung von Schutzfaktoren lag, verschob sich dieser in den letzten Jahren mehr in Richtung Prävention – nicht nur auf der individuellen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Wie lassen sich Lern-, Arbeits- und Umweltbedingungen so gestalten, dass Stress und stressbedingte Erkrankungen verringert werden? Was befähigt die Gesellschaft, flexibel mit Krisen umzugehen? Gibt es auch eine kollektive Resilienz?

Hier bot die Covid-19-Pandemie ein breites Forschungsfeld. Als systemische Schutzfaktoren identifizierten Wissenschaftler unter anderem sozialen Zusammenhalt, Solidarität, Partizipation, kollektive Intelligenz und effektive Kommunikation. Daraus entwickelten sie spezifische Programme, die künftig die Widerstandsfähigkeit von Gemeinden gegenüber Katastrophen unterstützen sollen.

Dass Resilienz in den letzten Jahren zu einem Modebegriff avanciert ist und sich immer mehr Menschen damit beschäftigen, sieht Helmreich zum Teil kritisch: »Es besteht die Gefahr, dass psychische Erkrankungen stigmatisiert werden nach dem Motto ›der- oder diejenige ist nur nicht resilient genug‹.« Resilienz bedeute nicht, dass alles an einem abpralle: »Das Auf und Ab der Gefühle gehört zum Leben – ebenso wie psychische Krisen. Und man darf Resilienz nicht auf eine individuelle Aufgabe reduzieren, sondern muss auch strukturelle Bedingungen immer wieder überprüfen und verbessern.«

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