Darauf müssen wir uns einstellen |
Christina Hohmann-Jeddi |
08.01.2021 18:02 Uhr |
In jedem Infizierten hat das SARS-Coronavirus-2 bei den Replikationen des Ergbguts die Chance, Mutationen zu entwickeln. / Foto: NIAID
Im Januar hoffte man, aus dem Lockdown zu kommen, jetzt wurden die Maßnahmen in Deutschland wieder verschärft. Ein wichtiger Grund sind dabei zwei vor Kurzem aufgetauchte Varianten des Coronavirus, die sich stark ausbreiten. Was es damit auf sich hat, berichteten Experten und eine Expertin bei einer Veranstaltung des Science Media Center Germany am Freitag.
Die Variante B.1.1.7 sei im September in Südostengland aufgetaucht, berichtete Professor Dr. Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel. Inzwischen ist sie die dominierende Form des Virus in Großbritannien. Sie hat eine Reihe von 10 bis 15 Mutationen angehäuft – »mehr als man erwarten würde«. Zwei Mutationen pro Monat wären in etwa normal, so der Virologe.
Am stärksten diskutiert wird die N501Y-Mutation im Spike-Protein von SARS-CoV-2, die zu einem Aminosäuretausch von Asparagin (N) zu Tyrosin (Y) an Position 501 führt. Diese weist neben der englischen Variante (N501Y-V1, auch VOC 202012/01) auch eine zweite Variante auf, die in Südafrika im Oktober aufgetaucht ist: N501Y-V2. Auch dort habe sich die Variante rasch gegen die anderen Virusformen durchgesetzt und dominiere nun das Infektionsgeschehen, sagte Neher. Die Varianten konnten vor allem entdeckt werden, weil diese Länder gute Surveillance-Systeme etabliert haben, in denen viele Erregergenome sequenziert werden.
Dass Varianten entstünden, sei nichts Ungewöhnliches, betonte Professor Dr. Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe »Emerging Viruses« in der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Universität Genf in der Schweiz. Doch die Geschwindigkeit, mit der sich die beiden genannten Mutanten ausbreiteten, bereite Sorgen. Denn dies habe sich in einer Situation ereignet, in der es schon eine hohe Übertragung in der Bevölkerung gegeben habe. »Die Varianten mussten sich also gegen viele andere Formen durchsetzen und haben das geschafft.«
Erste Modellierungen zu N501Y-V1 zeigten, dass die Variante deutlich besser übertragbar sei. »Wenn sich diese Variante in Deutschland ausbreitet, haben wir ein Problem«, so Eckerle. Zu den biologischen Eigenschaften wäre noch wenig bekannt, diese Untersuchungen brauchten Zeit, sagte die Virologin. Wichtige Fragen seien noch offen, etwa warum die Variante ansteckender sei, ob sie mit einer höheren Viruslast in den Atemwegen der Infizierten einhergehe und ob sie Reinfektionen wahrscheinlicher mache. Diese Fragen würden untersucht, Daten stünden noch nicht zur Verfügung. Für die Politik stelle das ein Problem dar, da ohne ausreichende Daten jetzt Entscheidung getroffen werden müssten, wie so häufig in dieser Pandemie.
Dies sei ein grundsätzliches Problem, das auch die Kommunikation erschwere, betonte Dr. Andreas Bergthaler, Leiter der Forschungsgruppe Virale Pathogenese und antivirale Immunantworten vom Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM). Die Forschung gerate durch die Evolution des Virus immer ins Hintertreffen. Auf der anderen Seite könne man durch die modernen Methoden, anders als noch zur Zeit der Spanischen Grippe, den Erreger quasi in Echtzeit beobachten.
Die wohl drängendste Frage in Bezug auf die neuen Varianten ist, ob sie die Wirkung der Covid-19-Impfstoffe reduzieren. Zur Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffs Comirnaty® (Tozinameran, BNT162b2) hat der Hersteller Biontech nun eine erste Untersuchung auf dem Preprint-Server »BioRxiv« publiziert. In dieser wurde die Auswirkung der N501Y-Mutation getestet. Die Daten zeigen, dass die neutralisierenden Antikörper in den Blutseren von 20 Personen, die mit Comirnaty geimpft waren, gegen SARS-CoV-2 mit N501Y-Mutation genauso wirksam waren wie gegen das nicht mutierte Virus. In früheren Untersuchungen habe man schon zeigen können, dass sich die BNT162b2-induzierte Immunität auch auf 15 weitere Mutationen des SARS-CoV-2-Spike-Proteins erstrecke, heißt es in der Publikation.
Ein Problem der Studie sei, dass die Mutationen einzeln getestet wurden, kommentierte Bergthaler, man müsse aber eigentlich die Kombination testen. Doch auch diese Untersuchungen seien schon auf dem Weg. »Es spricht vieles dafür, dass die Impfstoffe auch gegen die neuen Varianten wirksam sind«, sagte der Experte. »Das ist eine gute Nachricht.« Wenn sich allerdings herausstellen sollte, dass neue Varianten die Impfwirkung herabsetzten, könne man schnell darauf reagieren. »Die mRNA-Impfstoffe sind so flexibel im Design, dass man nachbessern kann.« Für die Anpassung der mRNA-Sequenz wird mit einem Zeitraum von sechs Wochen gerechnet. Inwieweit die veränderte Vakzine dann noch die klinische Prüfung durchlaufen muss, ist unklar.
Bergthaler äußerte sich auch zu den Bedenken, dass die Durchimpfung einen Selektionsdruck auf das Virus ausüben könnte. Da die Impfungen keine sterile Immunität bedingten, die Geimpften in einem gewissen Ausmaß also noch infiziert und infektiös sein können, sei es naheliegend, dass sie die Virusevolution verändern. »Wenn Viren einen hohen Selektionsdruck spüren, versuchen sie, dem zu entkommen.«
Gerade während der Zeit der Impfungen sei daher eine gute Surveillance wichtig, um zu verstehen, wie die Impfungen das Pandemiegeschehen beeinflussen. »Das werden wir uns anschauen müssen, wie die Impfstoffe, die sowohl eine T-Zell- als auch eine Antikörperantwort induzieren, die Virusevolution beeinflussen«, so Bergthaler.
Die Evolution würde im Wesentlichen dadurch bestimmt, was wie selektiert werde, nicht von der Mutationsrate selbst, betonte auch Neher. Im Vergleich zur Grippe könne man sagen, dass Grippeviren rascher mutierten, aber nicht um Größenordnungen, sondern eher um den Faktor zwei bis drei. Dafür besitze SARS-CoV-2 ein deutlich größeres Genom. Die Gelegenheiten, Fehler zu entwickeln, seien somit bei den Coronaviren gar nicht so viel kleiner als bei den Influenzaviren.
Ohnehin entstünden bei den vielen Replikationen des Virusgenoms in Millionen von Infizierten viele Mutationen. Entscheidend sei, welche Umstände und Situationen dann bestimmte Mutationen selektierten. »Was einen Vorteil hat, setzt sich durch«, sagte der Virologe. So wird zum Beispiel diskutiert, ob die Variante N501Y-V1 aus England, mit der auffällig hohen Zahl an Mutationen eventuell in einem immunsupprimierten Patienten entstanden sein könnte, bei dem ein Rest von Immunfunktion oder eine Therapie beispielsweise mit Antikörpern einen stetigen Selektionsdruck ausgeübt hat.
Solche evolutionsbeschleunigenden Faktoren müssten aufgeklärt werden, sagte Bergthaler. Alle Experten sprachen sich für eine verbesserte Überwachung und verstärkte Sequenzierung von SARS-CoV-2 aus. »Die neue Variante sollte ein Weckruf sein«, so Bergthaler. »Sie ist mit Sicherheit nicht die letzte, die uns begegnen wird.« Um neu auftretende Varianten rasch zu erkennen, sei es wichtig, ein entsprechendes Surveillance-System aufzubauen. Eine europaweite Strategie sei sinnvoll, um das Infektionsgeschehen im Blick zu behalten, sagte der Virologe. »Die Dynamik hält an und darauf müssen wir vorbereitet sein.«
Eine ähnliche Surveillance gebe es bereits für Grippeviren, deren Geschehen und zirkulierende Varianten vergleichsweise engmaschig überwacht würden, berichtete Neher. Auch bei der Grippe gebe es das Problem, dass die Antigene sich veränderten, was eine Anpassung der Impfstoffe nötig mache. »Aber auch hier ist es so, dass nicht eine einzelne Mutation die Impfantwort stark reduziert.« Vielmehr seien mehrere kleine Schritte nötig, um einen Effekt zu zeigen. »Die Evolution der Grippeviren kann uns eine Richtschnur geben, was wir in den kommenden Monaten und Jahren für SARS-CoV-2 zu erwarten haben«, sagte Neher.
In Bezug auf die Bekämpfung des Virus spielen die Varianten allerdings keine Rolle. Alle Maßnahmen der Kontaktreduzierung und Infektionsvermeidung wie Abstandhalten, Hygiene und Masketragen seien auch gegen die neuen Varianten effektiv, sagte Eckerle. Sie müssten nur noch konsequenter umgesetzt werden als bislang. Eine große Herausforderung sieht Bergthaler daher nicht im medizinischen oder virologischen Bereich, sondern vor allem in der Motivation der Bevölkerung. Diese sollte sich weiterhin diszipliniert verhalten, trotz der langen Dauer der Pandemie und mit der Ziellinie in Form von Impfungen schon in Sicht.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.