Chronische Gicht durch mangelnde Therapietreue |
Akute Gichtanfälle werden von Patienten mitunter als »Krieg in den Gelenken« und »Folter« beschrieben. Oft ist das Großzehengrundgelenk betroffen. / Foto: Getty Images/jittawit.21
Der akute, von allgemeinen Entzündungszeichen wie Schwellung, Rötung und Hitze der betroffenen Region und oft auch Fieber und Übelkeit begleitete Gichtanfall ist sehr schmerzhaft. Er wird von Betroffenen geradezu als »Krieg in den Gelenken« und »Folter« beschrieben, berichtete Barbara Staufenbiel, Apothekerin aus Münster, diese Woche bei einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Niedersachsen. Dennoch sei mit Blick auf die Dauermedikation mit harnsäurespiegelsenkenden Urikostatika wie Allopurinol (Mittel der ersten Wahl) oder Febuxostat beziehungsweise Urikosurika wie Probenecid und Benzbromaron studiengemäß eine eingeschränkte Adhärenz der Patienten zu verzeichnen.
In der Akut-Behandlung kommen nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Naproxen sowie Corticosteroide, Colchicin und das Immunsuppressivum Canakinumab zum Einsatz. »Aber haben die Patienten die oft heftige, akute Attacke mittels schmerz- und entzündungshemmender Medikamente überstanden, so vergessen sie häufig die konsequente Einnahme der nun zumeist notwendigen harnsäuresenkenden Dauertherapie«, konstatierte die Referentin. Das sei besonders fatal, da es in Folge der reduzierten Adhärenz zu rezidivierenden und in immer kürzeren Abständen auftretenden Gichtattacken sowie zu bleibenden Schäden an Knochen und Gelenken kommen kann. Diese können letztlich mit chronischen Schmerzen sowie spezifischen Komorbiditäten wie kardiovaskulären Erkrankungen und einem erhöhten Mortalitätsrisiko einhergehen, warnte sie. »In der Betreuung der Betroffenen muss die Apotheke daher ein besonderes Auge darauf haben, dass die Therapie systematisch und konsequent erfolgt.«
Die primäre Gicht ist unter anderem auf erbliche Nierenfunktionsstörungen oder auf Beeinträchtigungen des Purinstoffwechsels durch sehr seltene Enzymdefekte wie das Lesch-Nyhan- oder das Kelley-Seegmiller-Syndrom zurückzuführen. Zur sekundären Gicht könne es in Folge von Grunderkrankungen wie einem entgleisten Diabetes mellitus, chronischer Niereninsuffizienz oder Azidose beziehungsweise starker Verletzungen oder Tumoren unter Zytostatika- und Strahlentherapie kommen.
Als beeinflussbare Risikofaktoren, die die Entstehung akuter und schmerzhafter Gichtanfälle forcieren können, hob Staufenbiel das metabolische Syndrom, Adipositas, arterielle Hypertonie beziehungsweise emotionalen und körperlichen Stress sowie nutritive Faktoren wie Alkohol, purinreiche Nahrungsmittel, Getränke mit hohem Fructosegehalt und eine fleischlastige Ernährung hervor. Als Auslöser könnte zudem die gleichzeitige Einnahme spezifischer Arzneimittel und hier insbesondere von Diuretika, Acetylsalicylsäure, Levodopa, Ciclosporin A, Tacrolimus oder Tuberkulostatika fungieren, die den Harnsäurespiegel erhöhen können.
Die Pharmazeutin betonte, dass spezifischen Hinweisen gemäß bei der Entstehung der Gicht weitere Faktoren eine Rolle spielen müssen. So gäbe es Patienten mit sehr hohen Harnsäurewerten im Serum, die Zeit ihres Lebens keinen Gichtanfall bekommen, aber auch Patienten mit sehr niedrigen Harnsäurewerten, die trotzdem Gichtanfälle erleiden.
Allgemeiner Konsens ist, dass der Nutzen einer harnsäuresenkenden Therapie zur Vorbeugung schwerwiegender Folgeerkrankungen wie der Gicht-Arthritis oder Gicht-Niere mit der Häufigkeit der Gichtanfälle steigt. Auch wenn sich nationale und internationale Leitlinien hier widersprechen: »Es existiert eine zunehmende Evidenz für den sofortigen Einsatz der harnsäuresenkenden Therapie nach Abklingen der Symptome, um Folgeerkrankungen zu vermeiden«, unterstrich Staufenbiel.
Als ein Therapiepfeiler könne, wenn angezeigt, zudem Gewichtsreduktion bei ausgewogener Ernährung nach Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu einem sinkenden Harnsäurespiegel und somit verminderten Risiko von Folgeerkrankungen führen. Weiterhin empfehlenswert sei es, regelmäßige körperliche Bewegung in den Alltag zu integrieren beziehungsweise Stressfaktoren zu identifizieren und zu reduzieren.
»So schmerzhaft akute Gichtattacken auch sind – die große Gefahr besteht in der Chronifizierung der Erkrankung mit Zerstörung von Gelenken bis hin zur Invalidität«, warnte die Referentin. Durch Erläuterung der Pathogenese sowie Schilderung der Therapieziele, Wirkmechanismen und Einnahmemodalitäten der Dauermedikation müsse die Apotheke hier gegensteuern.
»Professionelle Beratung zeigt dem Patienten, was er durch das Arzneimittel gewinnt. Nur durch adäquate pharmazeutische Betreuung lässt sich die Motivation und somit auch die dringend notwendige Compliance der Patienten erhöhen«, ist Staufenbiel überzeugt.
Circa 950.000 Menschen sind in Deutschland von einer Gicht als Erkrankung des rheumatischen Formenkreises betroffen. Bei der seit dem 18. Jahrhundert als »Krankheit der Reichen« bekannten Stoffwechselstörung handelt es sich keinesfalls um ein verstaubtes Leiden. Im Gegenteil: Die Zahl der Gicht-Patienten nimmt nicht zuletzt aufgrund der höheren Prävalenz der Risikofaktoren und des demografischen Wandels zu. So ist seit 1970 eine Verdreifachung der Erkrankungshäufigkeit zu registrieren.