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Gesetze zur GKV

Bundesrechnungshof: BMG-Gesetze könnten Armut verstärken

In einem aktuellen Bericht kritisiert der Bundesrechnungshof das Bundesgesundheitsministerium (BMG) scharf. Das Ministerium habe bei zwei Gesetzen von 2018 und 2019 Aspekte der Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Stärkung des sozialen Zusammenhalts nicht berücksichtigt. Damit können die Gesetze zur GKV-Finanzierung laut Rechnungshof sogar zu Armut und die Benachteiligung zukünftiger Generationen beitragen.
Charlotte Kurz
28.01.2022  16:30 Uhr

Seit 2016 orientiert sich die Bundesregierung bei ihrem Handeln an den 17 globalen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung, die von den Vereinten Nationen beschlossen und schrittweise bis zum Jahr 2030 auf den Weg gebracht werden sollen. Diese Ziele (auch Sustainable Development Goals (SDGs) genannt), beinhalten unter anderem das Ziel Armut beenden, gesundes Leben und Wohlergehen ermöglichen und Ungleichheiten in und zwischen den Ländern verringern. Die Regierung hat zuletzt eine Weiterentwicklung dieser Nachhaltigkeitsstrategie am 10. März 2021 beschlossen.

Ganz konkret bedeutet die Nachhaltigkeitsstrategie, dass die Regierung bei allen Gesetzentwürfen darstellen muss, ob deren Wirkungen auch eine nachhaltige Entwicklung, also etwa die demografische Entwicklung, die Generationengerechtigkeit oder auch die Stärkung des sozialen Zusammenhalts berücksichtigt. Der Bundesrechnungshof (BRH) hat sich nun zwei Gesetze ganz konkret angeschaut und geprüft, ob das Bundesgesundheitsministerium (BMG) diese Nachhaltigkeitsaspekte bei den sogenannten Gesetzesfolgenabschätzungen berücksichtigt hat. In einem Bericht des BRH vom 26. Januar 2022, der der PZ vorliegt, wird nun der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags über diese Sache informiert.

Dabei geht es um zwei Gesetze, die die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und somit alle gesetzlich Versicherten sowie alle Steuerzahler in Deutschland betreffen, die über den Bundeszuschuss ebenfalls die GKV finanziell unterstützen. Bei den Gesetzen handelt es sich um das GKV-Versicherten-Entlastungsgesetz, das 2018 und das GKV-Betriebsrenten-Freibetragsgesetz, das ein Jahr später in Kraft getreten ist. In Kürze geht es in ersterem darum, dass die GKV-Beiträge unter anderem paritätisch von Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen, Finanzreserven der Kassen abgebaut und Kleinselbstständige entlastet werden. Mit dem Betriebsrenten-Freibetragsgesetz wiederum sollen rund vier Millionen Betriebsrentner ab 2020 um insgesamt 1,2 Milliarden Euro jedes Jahr entlastet werden. Beide Gesetze fallen in die Amtszeit des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU).

GKV-Finanzierung durch demografischen Wandel bedroht?

Der Bundesrechnungshof kommt dabei zu dem Schluss, dass das BMG im Zuge dieser Gesetze unter anderem Aspekte der Nachhaltigkeit, des sozialen Zusammenhalts und der Generationengerechtigkeit nicht berücksichtigt hat. Eigentlich ist das BMG dazu verpflichtet, die Finanzierung der GKV auf diese Aspekte hin zu überprüfen und entsprechend zu sichern. Die Finanzierung der GKV beruht auf dem sogenannten Umlageverfahren. Alle Beiträge, die derzeit von Versicherten eingezahlt werden, werden direkt für die Bezahlung der Leistungserbringer, also Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker verwendet. Die Folgen des demografischen Wandels mit auf der einen Seite weniger Versicherten, die in den Topf einzahlen und auf der anderen Seite immer höheren Kosten durch einen größer werdenden Anteil von älteren Menschen könnten die Funktionsfähigkeit des Umlagesystems und damit die Finanzstabilität der GKV beeinträchtigen, so der BRH. Der Anteil älterer Menschen werde bis zum Jahr 2060 auf das 1,5-fache oder Doppelte ansteigen, zitiert er eine Prognose des Bundesinnenministeriums von 2017.

Dies könne sich zudem auf die Höhe des Bundeszuschusses und damit auf den Bundeshaushalt auswirken. Von 2008 bis 2019 seien die Ausgaben der GKV von 161 Milliarden auf 252 Milliarden Euro gestiegen. Der Bundeszuschuss erhöhte sich von 2,5 Milliarden Euro (2008) auf 18 Milliarden Euro (2020). Für das aktuelle Jahr liegt er bereits bei insgesamt 28,5 Milliarden Euro. Auch der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist von 1992 bis 2018 von 9,4 Prozent auf 11,7 Prozent gestiegen, so der BRH.

Deswegen wäre es Aufgabe des BMG dieses System zu sichern, so der BRH sinngemäß. Allerdings habe das Ministerium dies bei den untersuchten Gesetzen nicht ausreichend berücksichtigt. Die beiden Gesetze haben insgesamt jährliche Mindereinnahmen der GKV von 3 bis 3,5 Milliarden Euro zur Folge. Weiter entstünden den öffentlichen Arbeitgebern und den Trägern der Gesetzlichen Rentenversicherung jährliche Mehrbelastungen von 2,1 Milliarden Euro, schreibt der BRH. Insgesamt verursachen die beiden Gesetze also finanzielle Auswirkungen von zunächst 5,1 bis 5,6 Milliarden Euro jährlich. Trotz dieser jährlichen Mindereinnahmen in Milliardenhöhe sah das BMG aber keine Evaluierung der Gesetze vor, kritisiert der BRH.

BMG selbst ging von einer problematischen Finanzierung aus

Weiter habe das BMG beispielsweise die Fristen für die Prüfung der Gesetzesentwürfe durch andere Bundesministerien erheblich verkürzt, sodass diese sowie Verbände kaum Zeit hatten, die Entwürfe genau gegenzuchecken und ihre Stellungnahmen dazu abzugeben. Zudem habe es das BMG versäumt, den Nachhaltigkeitskoordinator in die Gesetzesentwicklung einzubinden. Das BMG sei außerdem nicht auf die Auswirkungen des demografischen Wandels oder die Generationengerechtigkeit eingegangen. »Stattdessen betonte es, Leistungsfähigkeit und Stabilität der GKV seien aufgrund der positiven Wirtschaftsentwicklung gesichert«, heißt es in dem Bericht. Das Problem dabei: Laut dem BRH ging das BMG in internen Prognosen von einer »ansteigenden Unterdeckung der GKV infolge der demografischen Alterung aus.« Zudem hatten die beteiligten Verbände im Gesetzgebungsverfahren kritisiert, dass die kurzfristigen Entlastungen, die durch das Gesetz geschaffen werden sollten, mit langfristigen Risiken und später stark ansteigenden Erträgen erkauft werden.

Der BRH schlussfolgert deswegen:

Das BMG entlastet mit seinen Gesetzesvorhaben überwiegend die jetzigen Rentnergenerationen und belastet die zukünftigen Generationen. Seine eigenen Zweifel an der Generationengerechtigkeit der Gesetzesvorhaben hat es nur intern formuliert. Mögliche Zielkonflikte oder die Auswirkungen und Nebenwirkungen auf die Generationengerechtigkeit hat das BMG in den Gesetzesfolgenabschätzungen nicht aufgezeigt.
Bundesrechnungshof

Aber das BMG habe nicht nur Aspekte der Generationengerechtigkeit im Rahmen der Gesetze unterlassen, sondern auch die Stärkung des sozialen Zusammenhalts vernachlässigt, so der BRH. Das BMG hätte Alternativen zu den vorgesehenen Freibeträgen für Betriebsrentner prüfen müssen, um Altersarmut wirksam zu bekämpfen, heißt es. Stattdessen habe das BMG in Kauf genommen, dass für die Entlastungen dieser vergleichsweise gut versorgten Gruppe auch Geringverdiener aufkommen müssen. Dies könne Armutseffekte sogar noch verstärken und damit sei fraglich, ob diese Umverteilung den sozialen Zusammenhalt stärke, schlussfolgert der BRH.

Bevor der BRH den Bericht veröffentlicht hat, gab er dem BMG die Möglichkeit, Stellung zu den fehlenden Aspekten der Nachhaltigkeit zu nehmen. Dabei hat das BMG dem BRH gegenüber bestätigt, dass es die Nachhaltigkeitsaspekte umfassender hätte darstellen können. In anderen Fällen hat es aber nur in Teilen auf die Beanstandungen reagiert und teils sogar mögliche negative Auswirkungen der Gesetze in Abrede gestellt. Insgesamt schlussfolgert der BRH damit: »Das BMG sollte die Anforderungen der Nachhaltigkeitsstrategie bei seinen Gesetzesvorhaben stets berücksichtigen. In seinen Gesetzesfolgenabschätzungen sollte es die Auswirkungen, Alternativen und möglichen Zielkonflikte umfassend aufzeigen und die Übereinstimmung mit einer nachhaltigen Entwicklung nachweisen.«

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