Beschleunigt SARS-CoV-2 die Zellalterung? |
Theo Dingermann |
26.01.2022 14:30 Uhr |
Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann einer japanischen Studie zufolge auch im Umfeld der infizierten Zellen bleibende Schäden hinterlassen. / Foto: Getty Images/xia yuan
Die zugrunde liegenden Mechanismen des postakuten Covid-19-Syndroms (Long Covid) sind weitgehend unbekannt. Sicher scheint aber zu sein, dass Entzündungsreaktionen eine Rolle spielen. Diese könnten von Zellen im Umfeld von Infektionsherden ausgehen, in denen durch die Infektion ein seneszenzähnlicher Zellzyklus-Stillstand ausgelöst wurde. Das zeigen Wissenschaftler um Dr. Shunya Tsuji von der Osaka University in Suita, Japan, jetzt im Fachjournal »Nature Aging«.
Im Gegensatz zu apoptotischen Zellen sterben seneszente Zellen nicht ab. Vielmehr sammeln sie sich typischerweise während des Alterungsprozesses im ganzen Körper an. Seneszente Zellen exprimieren in hohen Konzentrationen eine Reihe von Entzündungsfaktoren, die als seneszenzassoziierte sekretorische Phänotypen (SASP) bezeichnet werden. SASP bilden eine Gruppe entzündlicher Zytokine, Chemokine, Wachstumsfaktoren und extrazelluläre Matrix abbauender Enzyme, die in die Zellumgebung abgesondert werden.
Die Daten von Tsuji und Kollegen deuten nun an, dass die Akkumulation seneszenter Zellen durch eine Coronainfektion erheblich beschleunigt wird. Zudem legt die Arbeit nahe, dass die proinflammatorischen Botenstoffe nach der Infektion dauerhaft ausgeschüttet werden, also auch nachdem SARS-CoV-2 nicht mehr nachweisbar ist: In Kulturen menschlicher Zellen oder in humanen bronchialen Organoiden (hBO) konnten die Wissenschaftler die Anzeichen einer zellulären Seneszenz um den Tag 9 nach einer SARS-CoV-2-Infektion nachweisen. Zu dem Zeitpunkt waren die meisten SARS-CoV-2-infizierten Zellen bereits abgestorben.
Diese Ergebnisse stimmen mit der Beobachtung überein, dass die Expression von virusinduzierten Zytokinen wie IFNβ, IL6 und TNFα am Tag 6 nach der Infektion mit SARS-CoV-2 ihren Höhepunkt erreicht und dann deutlich abnimmt, während die Expression anderer, zu den SASP-Faktoren gehörender Zytokine wie IL1β und IL8 auch dann noch anhält, wenn SARS-CoV-2 nicht mehr nachgewiesen wird.
Die Wissenschaftler zeigen außerdem, dass die Expression des Seneszenzmarkers CDKN2A und verschiedener SASP-Faktor-Gene, darunter IL32, CXCL14 und MMP10, auch in den Lungenzellen von Patienten mit schwerem Long-Covid-Syndrom erhöht ist. Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass ein signifikanter Anteil der Basalzellen und ein etwas geringerer Anteil der Flimmerzellen auch dann noch CDKN2A in SARS-CoV-2-infizierten hBO exprimieren, wenn SARS-CoV-2 schon gar nicht mehr nachweisbar ist. Daher liegt die Vermutung nahe, dass der durch die SARS-CoV-2-Infektion induzierte seneszenzähnliche Phänotyp an der Entwicklung des Long-Covid-Syndroms beteiligt sein könnte.
Auch in Mäusen, die mit einem an die Maus angepassten SARS-CoV-2-Stamm infiziert wurden, ließen sich nach Abklingen der virämischen Phase anhaltende Anzeichen zellulärer Seneszenz und SASP in der Lunge nachweisen. Interessanterweise ließen sich diese Anzeichen durch senolytische Medikamente, darunter der Bcl2-Inhibitor Navitoclax (ARV263) und der BET-Inhibitor ARV825, erheblich reduzieren. In Hamstern waren die senolytischen Effekte der Forschungssubstanzen allerdings nicht so ausgeprägt, was darauf hindeuten könnte, dass es in der seneszenzinduzierten Pathologie wirtsspezifische Unterschiede gibt.
Zusammenfassend deuten diese hochinteressanten Daten der japanischen Wissenschaftler auf einen neuen, möglicherweise bedeutenden Mechanismus im Rahmen der Long-Covid-Pathologie hin. Dieser könnte dadurch verursacht werden, dass eine anhaltende infektionsinduzierte parakrine Seneszenz ein Langzeit-Entzündungsgeschehen aufrechterhalten könnte.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.