Belén Garijo wird Chefin beim Pharmakonzern Merck |
Seit 2011 bei Merck, übernimmt Belén Garijo nun zum 1. Mai die Konzernleitung. / Foto: picture alliance/KEYSTONE
Das mehr als 350 Jahre alte Pharma- und Chemieunternehmen aus Darmstadt beruft mit der Spanierin Belén Garijo als erster Dax-Konzern eine Frau allein nach ganz oben. Garijo, die bis zuletzt die Pharma-Sparte bei Merck leitete, löst zum 1. Mai Stefan Oschmann ab, der dem Konzern seit April 2016 vorstand. Zuletzt hatte der Softwarekonzern SAP mit Jennifer Morgan und Christian Klein eine Doppelspitze, doch Morgan musste den Posten nach kurzer Zeit räumen.
Garijo, 1960 in der spanischen Kleinstadt Almansa geboren, soll den Familienkonzern mit weltweit gut 58.000 Mitarbeitern auf Wachstumskurs halten. Das Unternehmen ist außergewöhnlich breit aufgestellt: Merck vertreibt Arzneimittel gegen Krebs, Unfruchtbarkeit und Diabetes ebenso wie Laborausrüstung für Forscher, Lacke für Autos und Pigmente für Kosmetik sowie Flüssigkristalle für Smartphone- und TV-Displays.
In der Corona-Krise beliefert das Unternehmen mehr als 50 Impfstoffentwickler weltweit mit Laborbedarf wie Einwegmaterialien oder Filtern. Dem Mainzer Impfstoffhersteller Biontech stellt Merck Lipide bereit, die den mRNA-Botenstoff beim Transport in den Körper umhüllen. Hierbei drückt Garijo aufs Tempo: Am heutigen Donnerstag wurde bekannt, dass Merck die Lipide-Produktion ausgedehnt hat. «Wir haben bereits im zweiten Quartal Aufträge vorgezogen und werden in der zweiten Jahreshälfte unsere Lieferungen weiter ausbauen, um den hohen Bedarf an dringend benötigten Lipiden für Biontech und unsere anderen Kunden zu decken», sagte Garijo der Deutschen Presse-Agentur dpa. Merck habe seine Lipide-Produktion am Stammsitz Darmstadt und in Schaffhausen (Schweiz) erheblich ausgebaut. Merck und Biontech hatten die vertiefte Partnerschaft im Februar bekannt gegeben. Zu den wenigen anderen Firmen, die ebenfalls Lipide an Biontech liefern, zählt der Spezialchemiekonzern Evonik.
Das Unternehmen will unterdessen auch schon bald die eigene Belegschaft impfen, sobald genügend Impfstoff verfügbar ist. Am 3. Mai werde ein Pilotprojekt der hessischen Landesregierung am Standort Darmstadt starten, sagte Garijo. «Wir sind bereit, basierend auf unserer Erfahrung aus der Verabreichung der jährlichen Grippeimpfung an Tausende unserer Mitarbeiter.»
Frauen in Vorständen sind in Deutschland selten. Der Anteil weiblicher Vorstände in den Führungsgremien der 160 Konzerne aus dem Dax, MDax und SDax lag zuletzt bei 11,5 Prozent, errechnete die Beratungsgesellschaft EY (Stand 1. Januar 2021). Bei Merck will Garijo mehr Frauen in Managementpositionen bringen und Diversität fördern. «Diversität ist wichtig, weil es gut für das Geschäft ist», meint sie nüchtern. 35 Prozent der Führungspositionen bei Merck seien bereits mit Frauen besetzt. Von gesetzlichen Frauenquoten hält Garijo allerdings nichts. «Ich bin gegen jede Diskriminierung, positive wie negative», sagt die Managerin, die im vergangenen Jahr fast 6,3 Millionen Euro verdiente.
Die Medizinerin Garijo arbeitete in einem Madrider Krankenhaus, bevor sie zum Pharmakonzern Abbott wechselte. Nach mehreren Stationen unter anderem beim französischen Branchenriesen Sanofi kam Garijo 2011 zu Merck. Dort leitete die zweifache Mutter zunächst das Biopharma-Geschäft, bevor sie 2015 Chefin der Pharma-Sparte wurde.
Unter Führung der Managerin schloss Merck Allianzen mit Branchenriesen wie Pfizer und richtete das Arznei-Portfolio auf die Krebsforschung und Krankheiten wie Multiple Sklerose aus. Aus dem Geschäft mit rezeptfreien Arzneien zog sich Merck dagegen zurück. Der sachliche, bestimmte Managementstil von Garijo trug Früchte: Mercks Pharmasparte, die jahrelang keine einzige Arznei-Zulassung erreicht hatte, hat wieder Medikamente in der Pipeline.
Zudem kann Garijo auf die Arbeit von Oschmann bauen. In den vergangenen Jahren kaufte Merck für Milliarden den Laborausrüster Sigma-Aldrich und den Halbleiterzulieferer Versum. Dazu gab Oschmanns designierte Nachfolgerin heute einen Ausblick: »Wir schließen große, transformative Zukäufe ab 2022 nicht aus, werden uns aber wahrscheinlicher auf kleinere bis mittelgroße ergänzende Akquisitionen von innovativen Technologien konzentrieren.« Seit 2007 hat das Unternehmen, das zu gut 70 Prozent in Besitz der Merck-Familie liegt, fast 50 Milliarden Euro bei Käufen und Verkäufen von Geschäften bewegt und seinen Börsenwert damit stark gesteigert.
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