Sepsis neu definiert |
02.07.2018 12:24 Uhr |
Von Bettina Wick-Urban / Die Erkrankungszahlen für Sepsis, umgangssprachlich fälschlicherweise Blutvergiftung genannt, sind den letzten Jahren steil angestiegen. Unerlässlich, um die damit verbundene erschreckend hohe Mortalität zu verringern, sind eine frühe Diagnose und ein sofortiger Beginn der Behandlung. Eine neue Sepsis-Definition sowie geänderte Kriterien zu Diagnose und Verlaufskontrolle sollen dazu beitragen.
Die Fälle von Sepsis steigen weltweit pro Jahr um 5 bis 13 Prozent. Gemäß einer Studie von Fleischmann stieg in deutschen Kliniken von 2007 bis 2013 die Zahl der Patienten mit Sepsis um knapp 6 Prozent jährlich, von circa 200 000 auf 280 000. Erschreckend ist die hohe Mortalität. Sepsis ist mittlerweile die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und der häufigste Grund für Tod in den Intensivstationen der Krankenhäuser. Circa ein Viertel der Betroffenen stirbt daran (1, 2).
Aufgrund der alarmierenden Zahlen hat die WHO-Hauptversammlung im Mai 2017 eine Resolution beschlossen mit dem Ziel, weltweit die Prävention, Diagnose und Behandlung der Sepsis zu verbessern. Zudem soll die Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen eingedämmt werden (3).
Wettlauf mit der Zeit: Jede Stunde ohne Behandlung verschlechtert die Prognose von Sepsis-Patienten.
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Wichtig zu wissen: Sepsis ist nicht nur eine nosokomiale Infektion. Circa 70 Prozent der Infektionen werden ambulant erworben. Dabei ist bei etwa der Hälfte der Patienten eine Lungenentzündung der Auslöser. Daneben sind Infektionen im Urogenital- beziehungsweise Darmtrakt häufige Ursachen. Grampositive und gramnegative Bakterien wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Salmonella-Spezies und Neisseria meningitidis sind in etwa 90 Prozent der Fälle nachweisbar, in denen ein Erregernachweis möglich ist. Aber auch Pilze wie Candida, Parasiten wie Plasmodien, die Erreger der Malaria, und Viren, darunter Influenza- oder Schweinegrippeviren, können Sepsis verursachen. Jedoch gelingt nur bei circa ein Drittel der Patienten überhaupt der Erregernachweis (4).
Wettlauf mit der Zeit
Bei einer Sepsis erhöht jede Stunde ohne Behandlung das Mortalitätsrisiko um bis zu 7 Prozent. Bereits innerhalb der ersten Stunde zeigte sich in einer Studie ein deutlicher Unterschied. So überlebten mehr als 82 Prozent der Patienten, die innerhalb der ersten 30 Minuten nach Diagnosestellung mit Antibiotika behandelt worden waren, aber nur 77 Prozent derer, die die Therapie erst in den zweiten 30 Minuten erhielten (5).
Trotzdem wird die Sepsis oft zu spät erkannt beziehungsweise behandelt, da die Symptome unspezifisch sein können. Eine Aufklärung der Bevölkerung ist notwendig. So hatten gemäß einer Umfrage der Sepsisstiftung nur circa zwei Drittel der Befragten den Begriff Sepsis schon einmal gehört, und nur ein Drittel wusste, dass die Sepsis nicht nur durch Wunden, sondern auch durch Infektionen wie Lungenentzündung ausgelöst werden kann. Wichtig ist auch, wie von der WHO gefordert, Ärzte und Pflegekräfte zu sensibilisieren. Aber auch Apotheker sollten die Anzeichen einer sich verschlimmernden Infektion kennen und dem Patienten rasch zu einem Arztbesuch raten.
Typische Sepsiszeichen
Auch ambulant erworbene Infektionen wie eine Lungenentzündung können zur Sepsis führen.
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Hohe, mit Schüttelfrost einhergehende Temperatur ist charakteristisch für eine Sepsis. Jedoch gibt es auch Patienten, bei denen die Temperatur normal oder nur leicht erhöht ist.
Das gefäßerweiternde Stickstoffmonoxid wird vermehrt freigesetzt und zugleich das gefäßverengende Vasopressin gehemmt: Der Blutdruck fällt ab. Durch die Erweiterung der peripheren Gefäße, in die das Blut strömt, nimmt die zirkulierende Blutmenge ab. Kompensatorisch steigt die Herzfrequenz. Eine ausreichende Kompensation wird jedoch oft nicht erreicht, da die Pumpleistung des Herzens bei Sepsis eingeschränkt ist. Der Puls ist beschleunigt und schwach, besonders bei hohem Fieber sowie während und nach Schüttelfrostattacken, die mitunter sogar einen Kollaps hervorrufen. Auch blasse, feuchte und kalte Haut kann auf eine Sepsis hindeuten. Ist das Gehirn betroffen, ist oft das Bewusstsein getrübt, und der Betroffene wirkt unruhig und desorientiert.
Im Blut ist im Allgemeinen eine starke Vermehrung der Leukozytenzahl nachweisbar; manchmal führt eine Sepsis aber auch zu einer verminderten Leukozytenzahl. Zytokine, vor allem die Interleukine IL-1 und IL-6, stimulieren zudem die Expression von Gewebethromboplastin in den Endothelzellen. Die extrinsische Gerinnungskaskade wird in Gang gesetzt. Gleichzeitig wird die Synthese beziehungsweise Aktivität antikoagulatorischer Substanzen wie Antithrombin III, Thrombomodulin und Protein C gehemmt. Die Folge sind kapillare Mikrothromben, die die Blutversorgung der Organe behindern.
Im schlimmsten Fall kollabiert das Gerinnungssystem durch den Mangel an Gerinnungsfaktoren, und die Blutungsneigung steigt rapide an. Dies führt dazu, dass die Gewebe minderdurchblutet und die Zellen nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden, gekennzeichnet durch die erhöhten Laktatwerte. In der Folge kann es zu einem massiven Zellsterben in den betroffenen Organen wie Leber, Lunge, Niere oder Herz kommen – bis hin zum lebensbedrohlichen Multiorganversagen.
Charakteristische Laborbefunde bei einer Sepsis sind: Anämie, Leukozytose mit anfänglich oft normaler Leukozytenzahl oder Leukopenie, Thrombozytopenie, beschleunigte Blutsenkung, erhöhtes C-reaktives Protein (CRP), erhöhte Procalcitonin-Werte von mehr als 3 ng/ml sowie eine Zunahme der α2- und γ-Globuline.
Organsystem | Normalzustand | Schweregrad | |||
---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | ||
Atmung: Oxygenierungsindex (OI = PaO2/FiO2) | ≥ 400 mmHg | < 400 mmHg | < 300 mmHg | < 200 mmHg und künstliche Beatmung | < 100 mmHg und künstliche Beatmung |
Gerinnung: Thrombozytenzahl | ≥ 150 000/µl | < 150 000/μl | < 100 000/μl | < 50 000/μl | < 20 000/μl |
Neurologischer Zustand: Glasgow-Koma-Skala | 15 | 13 bis 14 | 10 bis 12 | 6 bis 9 | < 6 |
Herz-Kreislauf- System: notwendige Katecholamin Dosierung (μg/kg/min) | MAD > 70 mmHg | MAD < 70 mmHg | Dopamin ≤ 5 oder Dobutamin (beliebige Dosis) | Dopamin > 5 oder Adrenalin ≤ 0,1 oder Noradrenalin ≤ 0,1 | Dopamin > 15 oder Adrenalin > 0,1 oder Noradrenalin > 0,1 |
Leber: Bilirubin (mg/dl) | < 1,2 | 1,2 bis 1,9 | 2,0 bis 5,9 | 6,0 bis 11,9 | > 12,0 |
Niere: Kreatinin (mg/dl) | < 1,2 | 1,2 bis 1,9 | 2,0 bis 3,4 | 3,5 bis 4,9 (oder Urin < 500 ml/d) | > 5,0 mg/dl (oder Urin < 200 ml/d) |
PaO2: arterieller Sauerstoffpartialdruck in mmHg, FiO2: inspiratorische Sauerstoffkonzentration, MAD: mittlerer arterieller Druck
Neue Definition mit SIRS und CARS
Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie der Sepsis mündeten 2016 in eine neue Definition. Eine Task Force aus 19 Experten mit deutscher Beteiligung verständigte sich nach zwei Jahren Diskussion auf eine neue Definition, die als »Sepsis 3« bezeichnet wird (6):
Es gibt auch eine Definition für Laien, wonach die Sepsis »eine Reaktion des Körpers auf eine Infektion ist, die dem eigenen Gewebe Schaden zufügt«.
Die Sepsis verläuft in zwei Phasen: eine initiale hyperinflammatorische Phase charakterisiert durch SIRS, eine systemische inflammatorische Antwort, gefolgt von einer zweiten immunsuppressiven Phase, die gewöhnlich charakterisiert ist durch eine Dysfunktion der Organe und als CARS, kompensatorische antiinflammatorische Antwort, bezeichnet wird (7).
Klinische Zeichen | Grenzwert |
---|---|
Fieber oder Hypothermie | ≥ 38 °C oder ≤ 36 °C |
Tachykardie | Herzfrequenz ≥ 90/min |
Tachypnoe oder Hyperventilation | Frequenz ≥ 20/min oder PaCO2* ≤ 4,3 kPa/ ≤ 33 mmHg |
Leukozytose oder Leukozytopenie | ≥ 12 000/ml oder ≤ 4000/ml oder ≥ 10 Prozent unreife Neutrophile im Differenzialblutbild |
*) Kohlendioxid-Partialdruck
Neue klinische Diagnosekriterien
Die neue Definition erforderte auch neue klinische Diagnosekriterien (7, 9). Im Mittelpunkt steht die Organfunktion. Der Sequential (Sepsis-Related) Organ Failure Assessment Score, kurz SOFA-Score, umfasst sechs Kriterien (Tabelle 1).
Ein deutlicher Abfall des Blutdrucks gilt als Warnzeichen für eine entgleisende Reaktion des Körpers auf eine Infektion.
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Die SOFA-Kriterien ersetzen die SIRS (Systemisches Inflammatorisches Response-Syndrom)-Kriterien (7). Diese waren wie beispielsweise Fieber und Hyperthermie zu unspezifisch und erlaubten keine sichere Diagnose der Sepsis beziehungsweise den Ausschluss anderer Erkrankungen (Tabelle 2). SIRS-Kriterien können auch bei einfachen Infektionen sowie bei Patienten mit nicht-infektiösen Auslösern wie Trauma, Pankreatitis oder Reanimation bei Herzstillstand vorliegen. Andererseits können sie bei kritisch kranken Patienten mit offensichtlichen Anzeichen einer lebensbedrohlichen Infektion fehlen.
Eine Sepsis liegt dann vor, wenn sich der SOFA-Score des Patienten und somit seine Organfunktion akut infolge einer Infektion um zwei oder mehr Punkte verschlechtert. Damit geht ein Sterberisiko von ungefähr 10 Prozent einher, wie in Studien gezeigt wurde.
Ein septischer Schock liegt vor, wenn die Notwendigkeit besteht, den Kreislauf durch Vasopressoren so weit zu stabilisieren, dass ein mittlerer arterieller Druck von 65 mmHg erreicht wird, sowie die Laktatkonzentration auf über 2 mmol/l angestiegen ist, trotz ausreichender Flüssigkeitszufuhr.
Schnelldiagnosetest
Neu ist auch das Screening-Tool qSOFA, wobei »q« für quick, also schnell steht (6). Der qSOFA soll eine Verdachtsdiagnose am Krankenbett ohne Laborwerte beziehungsweise außerhalb der Intensivstation ermöglichen. Die Kriterien sind:
Wenn mindestens zwei dieser Kriterien erfüllt sind, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Sepsis mit schlechtem klinischen Ausgang erhöht.
Das Team von Christopher Seymour, Universität Pittsburgh, untersuchte die Validität der neuen Sepsis-Definition im Vergleich zur vorherigen. Dafür analysierten sie 1,3 Millionen elektronische Patientenakten aus amerikanischen Krankenhäusern nach Infektionsfällen, bewerteten diese nach den alten und neuen klinischen Kriterien und verglichen sie mit dem tatsächlichen Krankheitsverlauf. Zur Bestätigung wurden weitere 700 000 Fälle aus weltweit 165 Krankenhäusern ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass die SOFA-Kriterien auf Intensivstationen die Mortalität eines Patienten besser vorhersagen als die früheren SIRS-Kriterien und die qSOFA-Kriterien. Bei Patienten außerhalb von Intensivstationen waren dagegen die rein klinischen qSOFA-Kriterien sowohl den SOFA-Kriterien als auch den SIRS-Kriterien überlegen (9). Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Studiengruppe, die die Definition und Kriterien für den septischen Schock evaluierte (10).
Wichtig: Die Kriterien gelten nur bei Erwachsenen ab 16 Jahren. Bei Kindern ist die Diagnose nach wie vor schwierig. Erhöhte Temperatur, Schläfrigkeit, Schwäche, erniedrigter Muskeltonus, schwere Atmung und Appetitlosigkeit können auf eine Sepsis hindeuten und sollten unbedingt von einem Arzt abgeklärt werden.
Hochrisikogruppen
Um Multiorganversagen und maligne Hypotension zu verhindern oder aufzuhalten, brauchen Sepsis-Patienten eine schnelle und umfangreiche Notfallversorgung.
Foto: AOK/Mediendienst
Besonders gefährdet sind Patienten mit einem schwachen Immunsystem, zum Beispiel Menschen mit Implantaten oder Verweilkathetern, sowie Menschen, die Immunsuppressiva oder Zytostatika einnehmen, keine funktionsfähige Milz haben, frisch operiert sind oder an Diabetes mellitus, Krebs oder Leberzirrhose leiden. Auch Frühgeborene und Hochbetagte erkranken signifikant häufiger.
Bei diesen Patienten vermutet man, dass die Erreger und deren Toxine die lokalen Abwehrmechanismen leicht überwinden und sich über den Blut- und Lymphkreislauf ausbreiten und explosionsartig vermehren können. Denn ob sich infolge einer Infektion eine Sepsis entwickelt, scheint vom Verhältnis von Menge und Aggressivität der Keime auf der einen und von Abwehrkräften des Organismus auf der anderen Seite abzuhängen.
Behandlung schnell einleiten
Bislang gibt es keine spezifische Therapie einer Sepsis. Das Mortalitätsrisiko ist hoch. Die hauptsächlichen Todesursachen sind Multiorganversagen und Hypotension, die nicht auf die Behandlung ansprechen. Wichtig ist daher ein schneller Behandlungsbeginn, in der Regel auf einer Intensivstation. Diese besteht aus vier Komponenten (11, 24):
Ist der Infektionsherd identifiziert (was nicht immer möglich ist), sollte dieser entfernt werden. Dies geschieht meistens chirurgisch: Kontaminierte Implantate werden ersetzt, Wunden geöffnet und entzündete oder abgestorbene Gewebeteile entfernt.
Möglichst innerhalb der ersten Stunde nach der Diagnosestellung sollte – nach Bestimmung des Laktatspiegels und Abnahme einer Blutkultur zum Erregernachweis – eine initiale Antibiotikatherapie mit einem Pseudomonas-wirksamen Antibiotikum eingeleitet werden. Drei Substanzgruppen werden unter Berücksichtigung der lokalen Resistenzsituation empfohlen:
Neuere Antibiotika sollten nur zur Behandlung multiresistenter Keime eingesetzt werden. Bei dringendem Verdacht auf eine MRSA-Infektion wird eine Therapie mit Linezolid beziehungsweise Daptomycin empfohlen. Bei Sepsis infolge einer ambulant erworbenen Pneumonie sollten die Ärzte eine Kombination aus einem Betalaktam-Antibiotikum und einem Makrolid einsetzen. Ist der Erreger nachgewiesen, sollte die Antibiotikatherapie entsprechend angepasst werden. Im Allgemeinen bekommt der Patient sieben bis zehn Tage lang Antibiotika (11).
Antimykotika werden bei nicht-neutropenischen, nicht-immunsupprimierten Patienten aufgrund der geringen Häufigkeit von invasiven Candida-Infektionen und der Resistenzgefahr nicht routinemäßig eingesetzt – auch nicht bei schwerer Sepsis oder septischem Schock. Liegt eine Candidämie vor, sollte eine antimykotische Therapie eingeleitet werden.
Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr bei einer Hypotension beziehungsweise einer Hypoperfusion mit einem Laktatwert ≥ 4 mmol/l. Empfohlen wird die Infusion einer kristalloiden Lösung wie Ringer-Laktat- oder Kochsalzlösung (7, 11). Wenn der Blutdruck dadurch nicht innerhalb der ersten sechs Stunden adäquat ansteigt, sollte die Behandlung mit einem Vasopressor, bevorzugt Noradrenalin, eingeleitet werden, um einen mittleren arteriellen Druck von ≥ 65 mmHg aufrechtzuerhalten. Auch der zentrale Venendruck und die venöse Oxyhämoglobin-Sättigung müssen überwacht und der Laktatspiegel noch einmal bestimmt werden.
Weitere wichtige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen sind im Kasten aufgeführt.
Wenig neue Therapien
Neue Ansätze zur Behandlung der Sepsis gibt es wenige. Erprobt wird die Entfernung von Endotoxinen und Zytokinen durch Hämoperfusion. Während die Zytokinspiegel nicht nennenswert gesenkt und auch die Organdysfunktion sowie Mortalität nicht vermindert wurden, senkte die Verringerung der Endotoxin-Konzentration im Blut mittels einer mit Polymyxin B beschichteten Säule in einer Studie die Mortalität. Hämodynamik und Organdysfunktion verbesserten sich signifikant (13, 14).
Neben der Sanierung infektiöser Herde, der Gabe von Antibiotika und Kreislaufstabilisierenden Maßnahmen ist die Aufrechterhaltung der Organfunktionen essenziell. Maßnahmen dazu sind:
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Die Gabe von GM-CSF (Granulozyten Makrophagen Kolonie-stimulierender Faktor), der die Reifung von Neutrophilen, Monozyten, Makrophagen, dendritischen Zellen und T-Lymphozyten fördert, soll das Immunsystem stimulieren. Der rekombinante GM-CSF Sagramostin reduzierte die Dauer der Beatmung und die Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation. Eine Phase-III-Studie in Frankreich untersucht derzeit die Wirksamkeit in einem größeren Patientenkollektiv (15, 16).
Als wirkungsvoll erwies sich auch der Betablocker Esmolol bei Patienten mit septischem Schock und persistierender Tachykardie. Diese Patienten profitierten von der Senkung der Herzfrequenz und einer verbesserten Hämodynamik (17).
Interleukin 7 (IL-7) ist notwendig für das Überleben von T-Lymphozyten. Neben seinen antiapoptotischen Eigenschaften induziert das Zytokin auch die Vermehrung von T-Lymphozyten und könnte damit die Zahl der während einer Sepsis verringerten peripheren T-Zellen erhöhen. Die Wirkung eines rekombinanten IL-7 wird derzeit klinisch untersucht (18, 19).
BTLA (B- und T-Lymphozyten Attenuator), CTLA-4 (T-Lymphozyten assoziiertes Protein 4) und PD-1 (programmierter Zelltod 1) sind ko-inhibitorische Rezeptoren, die die T-Lymphozyten-Aktivierung regulieren. Bei Sepsis sind diese Rezeptoren hochreguliert und hemmen Immunfunktionen wie Phagozytose, Zytokinproduktion und die Eliminierung von Erregern. Zudem führen sie zu einer gestörten T-Zell-Antwort. In präklinischen Studien verbesserte die Blockade der Rezeptoren mit verschiedenen experimentellen Antikörpern oder Antipeptiden sowohl die angeborene als auch die adaptive Immunzellfunktion, erhöhte die Resistenz gegenüber Infektionen und senkte die Mortalität. Klinische Studien müssen zeigen, ob diese positiven Effekte auch beim Menschen nachweisbar sind. Die Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit dem PD1-Rezeptor-Antikörper Nivolumab liegen noch nicht vor (20-23).
Notwendig sind auch neue Möglichkeiten, eine Sepsis schneller und präziser zu diagnostizieren. Einen einfachen und schnellen Test haben Forscher in den USA entwickelt. Das Nachweisverfahren misst die spontane Beweglichkeit der neutrophilen Granulozyten im Plasma, wobei ein Blutstropfen genügt. Die Störung der Neutrophilen-Funktion ist ein Kennzeichen der Sepsis; die weißen Blutkörperchen verlieren dabei ihre Fähigkeit, auf chemotaktische Signale zu reagieren.
Die Forscher entwickelten einen Computer-gestützten Algorithmus, um einen Sepsis-Wert zu berechnen. In einer Studie mit 42 Patienten, von denen die Hälfte an Sepsis erkrankt war, konnte der Test innerhalb weniger Stunden die Patienten mit Sepsis mit einer Sensitivität von 97 Prozent und einer Spezifität von 98 Prozent von denen ohne Sepsis unterscheiden. Bevor der Test in der Klinik zum Einsatz kommt, müssen die Ergebnisse in größeren Studien bestätigt werden (25).
Biomarker-optimierte Therapie
Zunehmend werden Biomarker eingesetzt, um mithilfe einer besseren Verlaufskontrolle und Abschätzung des Schweregrads die Therapie der Patienten zu optimieren. So kann eine Antibiotikatherapie früher beendet oder bei einer schweren Sepsis oder septischem Schock frühzeitig eine intensivierte Therapie eingeleitet werden. Zu den am häufigsten eingesetzten Markern gehören C-reaktives Protein (CRP), Procalcitonin (PCT) und Laktat (7).
Etablierter Biomarker: Das C-reaktive Protein korreliert mit der Schwere einer Infektion.
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CRP und PCT sind Marker der proinflammatorischen Phase einer Sepsis. CRP wird vorwiegend in der Leber produziert, aber auch in alveolaren Makrophagen als Reaktion auf Traumata oder bakterielle Infektionen. Es ist ein kostengünstiger und sensitiver Marker zum Monitoring einer Antibiotikatherapie. CRP ist zwar nicht spezifisch für Sepsis, doch seine Plasmakonzentration korreliert mit der Schwere der Infektion. Sinkende Plasmaspiegel sind ein Indikator für den Rückgang der Infektion.
PCT weist neben einer hohen Sensitivität auch eine höhere Spezifität als CRP auf. Induziert wird die Produktion durch inflammatorische Zytokine und bakterielle Endotoxine. Aufgrund des schnellen Konzentrationsanstiegs und einer kürzeren Halbwertszeit als CRP kann mithilfe von PCT eine Sepsis schneller diagnostiziert beziehungsweise deren Schwere erfasst werden. Auch eine verbesserte Verlaufskontrolle ist möglich (7).
So ist bei PCT-Konzentrationen unter 0,5 ng/ml im Serum eine schwere Sepsis oder ein septischer Schock unwahrscheinlich, ab einem Schwellenwert von 2 ng/ml hochwahrscheinlich und damit eine intensivierte Therapie notwendig. Studien haben gezeigt, dass die Antibiotikatherapie selbst bei Patienten mit schwerer Sepsis durch das Monitoring der PCT-Konzentration im Vergleich zu einer routinemäßigen klinischen Entscheidungsfindung um durchschnittlich 3,5 Tage abgekürzt werden kann (7).
Der wichtigste Marker, der die Organdysfunktion charakterisiert, ist die Laktatkonzentration. Die Höhe des Serumlaktats korreliert mit dem Schweregrad der Organdysfunktion und dem Mortalitätsrisiko. Eine Hyperlaktämie kennzeichnet eine schlechte Gewebeperfusion und wird als Indikator für die Gabe von Vasopressoren verwendet. Bei Sepsis-Patienten mit einem Laktatspiegel über 4 mmol/l liegt auch dann ein septischer Schock vor, wenn der Blutdruck noch normal ist. Sie müssen entsprechend behandelt werden. /
Bettina Wick-Urbanstudierte Pharmazie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Nach ihrer Promotion 1996 in Basel und Freiburg mit einer Arbeit über experimentelle Krebstherapien arbeitete sie bis 1998 als Referentin bei der Arzneimittelinformationsstelle der ABDA. Danach wechselte sie in die pharmazeutische Industrie und war von 1999 bis 2004 in der klinischen Forschung tätig, davon zwei Jahre in USA. Seit 2004 ist die Autorin in verschiedenen Positionen im Marketing und in der medizinisch-wissenschaftlichen Information beschäftigt. Mitte 2006 schloss sie ein Journalismus-Studium ab.
E-Mail: wickurban@web.de
Literatur