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Chloroquin-Fakes

Arzneimittelfälscher nutzen Corona-Pandemie

Der Hype um das Malariamittel Chloroquin als mögliches Medikament gegen Covid-19 hat vermehrt Arzneimittelfälscher auf den Plan gerufen. Die Fake-Medikamente gelangen zunehmend über etablierte Kanäle in Afrika auf den Markt. Die Uni Tübingen unterstützt afrikanische Apotheker bei der Qualitätskontrolle.
Lutz Heide
03.06.2020  17:00 Uhr

Der kamerunische Apotheker Fidelis Nyaah ist besorgt: Anfang April findet er kurz nacheinander vier verschieden Arten von gefälschten Tabletten des Malariamittels Chloroquin, in seiner Heimatstadt Limbe an der Küste des Atlantischen Ozeans wie auch in der nahegelegenen Provinzhauptstadt Douala. Nur eines dieser vier Präparate wird von illegalen Arzneimittelhändlern verkauft; bei solchen Händlern hat er auch in den vergangenen Jahren schon hin und wieder gefälschte Arzneimittel entdeckt. Drei der Präparate werden aber in offiziell zugelassenen Apotheken angeboten, die in Kamerun bisher für die gute Qualität ihrer Medikamente bekannt waren.

Auslöser dieses plötzlich in solcher Schärfe aufgetretenen Problems ist die Corona-Pandemie und insbesondere die kürzlich verbreitete Behauptung, dass der Arzneistoff Chloroquin gegen die vom neuen Corona-Virus ausgelöste Krankheit Covid-19 helfen könne. Chloroquin wird seit Jahrzehnten wegen seiner Wirkung gegen Malariaparasiten verwendet – aber dass es Menschen, die an Virusinfektionen erkrankt sind, helfen könne, wurde noch nie klinisch bewiesen. Seriöse Fachleute warnen daher vor seiner Anwendung bei Covid-19-Patienten, auch wegen der ernsthaften Nebenwirkungen dieses Medikaments.

Nachdem aber auch US-Präsident Trump in einer Twitter-Nachricht für das eng verwandte Hydroxychloroquin eine durchschlagende Wirksamkeit bei Infektionen mit dem neuen Corona-Virus vorhersagte, stieg die weltweite Nachfrage nach Chloroquin sprunghaft. Die Preise stiegen um das 10-fache, teilweise um das 100-fache – und riefen damit Arzneimittelfälscher auf den Plan. Die Schnelligkeit, mit der gefälschte Chloroquin-Präparate auf den Markt kamen, zeigt die Gefährlichkeit dieser organisierten kriminellen Akteure.

»Labor im Koffer« für 100 wichtige Arzneimittel

Fidelis Nyaah arbeitet in Kamerun für eine kirchliche Arzneimittel-Versorgungsstelle, die Gesundheitseinrichtungen in diesem Land beliefert. Mit Unterstützung des Deutschen Institutes für Ärztliche Mission (Difäm), Tübingen, und des Ökumenischen Pharmazeutischen Netzwerkes (EPN) mit Sitz in Nairobi, Kenya, hat er ein ganz einfaches Labor eingerichtet, in dem er 100 der wichtigsten Arzneimittel auf ihre Wirkstoffe untersuchen kann. Er verwendet dafür das »GPHF Minilab«, ein »Labor im Koffer«, das in Deutschland mit Unterstützung der Firma Merck, Darmstadt, entwickelt wurde.

Rasch erkennt Fidelis Nyaah bei seiner Untersuchung mit dem Minilab, dass eines der gefälschten Arzneimittel eine viel zu geringe Menge des Wirkstoffs Chloroquin enthält. Schlimmer noch: die drei anderen Fälschungen enthalten überhaupt kein Chloroquin, dafür kann er in einem dieser Präparate die Anwesenheit eines anderen Stoffs erkennen.

Eine ganz ähnliche Beobachtung macht sein Kollege Georges Mutombo im 3000 km entfernten Bukavu im Kongo bei einer weiteren Sorte gefälschter Chloroquin-Tabletten. Die beiden afrikanischen Apotheker verständigen das Difäm in Tübingen, dessen Fachstelle für Pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit unter Leitung von Apothekerin Christine Häfele-Abah eng mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Lutz Heide am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen zusammenarbeitet.

Fälschungen begünstigen Resistenzentwicklung

Glücklicherweise gelingt es trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, die Fälschungen aus Kamerun und Kongo nach Tübingen zu schicken, wo sie sofort von den Apothekerinnen Gesa Gnegel und Cathrin Hauk untersucht werden, die beide im Rahmen ihrer Doktorarbeit über Arzneimittel in Afrika forschen.

Die Analyse nach offiziellen Vorschriften für die Arzneimitteluntersuchung, mit Hilfe der empfindlichen Hochdruck-Flüssigchromatographie (HPLC), bestätigt die Beobachtung von Fidelis Nyaah, dass eine der Fälschungen weniger als ein Viertel der behaupteten Wirkstoffmenge enthält – zu wenig, um den Patienten zu heilen, aber leider geeignet, um die Entwicklung von Chloroquin-resistenten Malariaerregern zu begünstigen.

In der Fälschung, in der Fidelis Nyaah einen weiteren Stoff erkennen konnte, finden die Tübinger Pharmazeutinnen kein Chloroquin, aber das Schmerzmittel Paracetamol. In dem gefälschten Präparat aus dem Kongo hingegen finden sie statt Chloroquin eine andere, zunächst unbekannte Substanz, und in geringerer Menge findet sich diese Substanz auch in den beiden weiteren Fälschungen aus Kamerun.

Die Identifizierung dieser unbekannten Substanz gelingt dann Dr. Dorothee Wistuba aus dem Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen, eine Spezialistin für die sogenannte hochauflösende Massenspektrometrie. Es handelt sich um das Antibiotikum Metronidazol. Dieser Arzneistoff ist sehr bitter, und die Fälscher haben ihn wahrscheinlich benutzt, um den bitteren Geschmack des Chloroquins nachzuahmen. Im Vergleich zu üblichen Metronidazol-Tabletten enthalten die Fälschungen aber nur geringe Mengen des Antibiotikums und bergen damit die Gefahr, die Entstehung von Antibiotika-resistenten Krankheitskeimen zu begünstigen.

Die von Fidelis Nyaah und seinen Kollegen entdeckten Fälschungen enthalten also wenig oder gar kein Chloroquin, aber dafür andere Wirkstoffe mit ihren jeweils eigenen Risiken und Nebenwirkungen. Da diese Wirkstoffe nicht genannt werden, kann weder der Arzt noch der Patient von diesen Gefahren wissen: dies ist eine der gefährlichsten Formen der Arzneimittelfälschung.

Die Tübinger Pharmazeuten und ihre afrikanischen Kollegen benachrichtigen die nationalen Behörden in Kamerun und im Kongo und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die WHO veröffentlicht sofort eine internationale Warnmeldung mit Fotos der gefälschten Arzneimittel. Zudem veröffentlichen die beteiligten Wissenschaftler ihre Ergebnisse Mitte Mai in dem Fachjournal »American Journal of Tropical Medicine & Hygiene«, das diesen Bericht einschließlich der detaillierten Beschreibung der Analysenergebnisse rasch im Internet verfügbar macht.

Chloroquin ist nur der Anfang

Diese Entdeckung von gefälschte Chloroquin-Tabletten in Kamerun und im Kongo ist leider nur ein Vorbote von viel weiter reichenden Problemen, die uns in naher Zukunft bevorstehen. Jedes zukünftige Arzneimittel und jeder zukünftige Impfstoff, für das oder den eine Wirksamkeit gegen die Infektion mit dem neuen Coronavirus nachgewiesen oder auch nur behauptet wird, wird weltweit eine verzweifelt hohe Nachfrage auslösen. In allen Ländern, besonders aber in den ärmsten, wird dies sofort Arzneimittelfälscher auf den Plan rufen, deren Produkte dann Leben und Gesundheit von Millionen von Menschen gefährden.

Dieses Problem wird sich nicht nur auf Arzneimittel zu Anwendung bei der Covid-19-Erkrankung beschränken: China und Indien sind die wichtigsten Arzeimittelproduzenten gerade für die ärmeren Länder dieser Welt. Der Lock-down in China und Indien in den vergangenen Wochen und Monate hat die Lieferketten zerrüttet, und deshalb stehen insbesondere die Entwicklungsländer vor einer Periode von massiven Engpässen in ihrer Arzneimittelversorgung. Das massenhafte Auftreten gefälschter Medikamente wird eine der Folgen sein.

Eine Gruppe von 55 Wissenschaftlern aus 20 Ländern, darunter auch Heide vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen, hatte bereits im April im angesehenen britischen Fachjournal »The Lancet Global Health« auf diese Gefahr hingewiesen. Dabei erwähnen sie auch, dass Arzneimittelfälschungen in der Geschichte schon immer aufgetreten sind, gerade in den Zeiten von Epidemien: Quacksalberei grassierte während der Pestepidemien in Mittelalter und Neuzeit. Als die Chinarinde Im 17. Jahrhundert zur Behandlung von Malaria eingeführt wurde, wurde sie in großem Umfang verfälscht. Und nach dem 2. Weltkrieg führte der Mangel an Penicillin zu weit verbreiteten Arzneimittelfälschungen.

Chancengleichheit in der Arzneimittelversorgung

Um dieser Gefahr zu begegnen, sind vor allem zwei Maßnahmen erforderlich: Einerseits muss in den kommenden Monaten die Versorgung von Entwicklungsländern mit preisgünstigen, qualitätsgesicherten Medikamenten so gut wie möglich sichergestellt werden. Es darf keinen Raum für eine »Rich countries first«-Mentalität geben, bei der sich Industrieländer mit ihren überlegenen finanziellen Mittel rücksichtslos gegen Entwicklungsländer in der Konkurrenz um knappe Arzneimittel durchsetzen.

Und in den Entwicklungsländern müssen einfache, schnell durchzuführende Testmöglichkeiten etabliert werden, mit denen verdächtige Arzneimittel rasch identifiziert und einer genauen Untersuchung zugeleitet werden können.

Dem kamerunische Apotheker Fidelis Nyaah ist mit seinem einfachen »Labor im Koffer« die frühzeitige Erkennung der gefälschter Chloroquin-Tabletten gelungen, und mit dieser Entdeckung kann er nun Schaden von den Patienten in seinem Land abwenden. Er sagt: »Früher konnte ich nur das Aussehen der Medikamente untersuchen. Die Beschriftung schien fehlerfrei zu sein, also haben wir sie benutzt. Aber manchmal wurde ich von Ärzten gerufen, die mir sagten, dass das Medikament nicht wirkt. Aber seit wir das Minilab haben, sind wir in der Lage, eine grundlegende Analyse selbst durchzuführen. Zumindest können wir mit dem Minilab feststellen, ob der angegebene Wirkstoff vorhanden ist, und ob er in der richtigen Menge vorhanden ist. Damit haben wir jetzt Vertrauen zu den Medikamenten, die wir ausliefern.«

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