Antikörpertests für Immunitätsnachweis ungeeignet |
Christina Hohmann-Jeddi |
25.06.2020 18:02 Uhr |
Zu ungenau sind Antikörpertests für SARS-CoV-2 noch. Das ist das Ergebnis von gleich zwei großen Literaturauswertungen. / Foto: Adobe Stock/wladimir bulgar
Antikörpertests weisen nicht einen Erreger selbst nach, sondern die Reaktion des Immunsystems auf eine Infektion, nämlich die Bildung von Antikörpern. Wie gut das im Fall des Pandemievirus SARS-CoV-2 funktioniert, haben sich jetzt das europäische Netzwerk zur Gesundheitstechnologiebewertung (EUnetTHA) und die Cochrane Library genauer angeschaut. Sie werteten die vorhandene Literatur zur Genauigkeit aus und ziehen in aktuellen Publikationen ein ernüchterndes, wenn auch vorläufiges Fazit.
Das Netzwerk EUnetTHA bezog in seine Analyse, an der auch das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) beteiligt war, 40 Studien mit ein. Das Ergebnis erschien nun auf der Website der Organisation. Demnach können die Antikörpertests eine zurückliegende Infektion mit dem SARS-Coronavirus-2 nachweisen. Jedoch sei die Genauigkeit der Tests bislang nicht ausreichend. Vor allem sei fraglich, ob ein positives Testergebnis als Zeichen einer Immunität gegen eine erneute Infektion gewertet werden kann. »Auch ist ein positives Testergebnis nach überstandener Infektion kein sicherer Nachweis dafür, dass die Person das Virus nicht mehr an andere Personen übertragen kann«, heißt es in einer Mitteilung des IQWiG.
Die Autoren des Berichtes räumen allerdings ein, dass aufgrund der Dringlichkeit der Frage, die Analyse rasch erstellt wurde. Zudem stünden noch die Ergebnisse von laufenden Studien aus. Der Bericht sei somit nur als vorläufige Bewertung zu verstehen. »Da nahezu wöchentlich neue Studienergebnisse zu erwarten sind, wird die Bewertung der Antikörpertests voraussichtlich in etwa drei Monaten aktualisiert«, heißt es vom IQWiG.
Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommen auch die Autoren eines Reviews der Cochrane Library um Professor Dr. Jonathan Deeks von der Universität Birmingham, der heute erschien. Sie hatten insgesamt 57 Studien mit zusammen fast 16.000 Probanden ausgewertet, die entweder nachweislich Covid-19 schon gehabt hatten oder nachweislich nicht infiziert gewesen waren. Die Studien untersuchten drei Arten von Antikörpern: IgA, IgG und IgM. Daten lagen nur für 27 Antikörpertests vor, ein Bruchteil der mehr als 200 auf dem Markt erhältlichen Tests. Einige Studien befassten sich mit Labortests, andere mit sogenannten Point-of-Care-Tests, bei denen Blutproben durch einen Nadelstich in die Fingerkuppe gewonnen werden können. Die Daten reichten nicht aus, um die Genauigkeit einzelner Test-Kits miteinander zu vergleichen, heißt es von dem Cochrane-Team.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Antikörpertests helfen können, Personen mit durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion zu erkennen. Dabei sei aber der Zeitpunkt der Testung entscheidend: In der ersten Woche nach dem Beginn von Krankheitssymptomen seien die Antikörper-Titer zu niedrig, um sie für einen Nachweis von Covid-19 zu verwenden. Zwei oder mehr Wochen nach Beginn der Symptome seien die Tests dagegen zuverlässiger. So stieg etwa die Sensitivität von einer kombinierten Testung auf IgG und IgM von 30,1 Prozent in der ersten Woche, auf 72,2 Prozent in der zweiten und schließlich auf 91,4 Prozent in der dritten.
»Wir können aber auf Basis der eingeschlossenen Studien nicht beurteilen, wie gut die untersuchten Tests mehr als fünf Wochen nach Beginn der Symptome funktionieren«, heißt es in einer Pressemitteilung von Cochrane Deutschland. Entsprechend sei es schlecht abzuschätzen, ob sich Antikörpertests für Seroprävalenzstudien eignen. »Wir wissen auch nicht, ob diese Ergebnisse auf Menschen mit milderen Krankheitsverläufen oder ohne Symptome übertragbar sind, da die Studien im Review hauptsächlich an Krankenhaus-Patienten durchgeführt wurden.« Es lasse sich zudem noch nicht beurteilen, ob eine überstandene Covid-19-Erkrankung eine Immunität gegen künftige Infektionen verleiht.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.