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Unerwünschte Effekte

Antibiotika und das Darmmikrobiom

Jede Antibiotika-Gabe verändert unser Mikrobiom – aber mit welchen Folgen, wie lange und lässt sich dagegen etwas tun? Hier steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen, aber erste Ansätze gibt es.
Daniela Hüttemann
29.11.2022  18:00 Uhr

Wie man heute weiß, besteht der menschliche Körper aus mehr mikrobiellen als menschlichen Zellen. »Mehr als die Hälfte unserer Zellen besteht aus Bakterien, Pilzen und Viren, unserem Mikrobiom«, erklärte Privatdozent Dr. Philipp Solbach vor Kurzem bei der Scheele-Tagung in Warnemünde. »Überall, wo unser Körper mit der Außenwelt in Kontakt kommt, sind wir besiedelt, vom Mund bis zum After, auf Haut und Haaren, in Ohren und Lungen, dem Urogenitaltrakt und sogar in den Gallenwegen.« Der Großteil der Mikroben (mehr als 90 Prozent) siedeln im Darm. Die Winzlinge machen etwa ein bis zwei Kilogramm unseres Körpergewichts aus. Bislang sind mehr als 10.000 verschiedene Arten bekannt.

»Es sind adaptierte Ökosysteme, die unverzichtbar sind für uns«, so der Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. Das Mikrobiom entwickle sich vor allem in den ersten zwei bis vier Lebensjahren und sei stark über die Mutter und den Geburtsmodus geprägt (vaginale Geburt oder Kaiserschnitt, Stillen oder Milchersatz). »Kein Mikrobiom ist gleich – es ist wie ein individueller Fingerabdruck«, verdeutlichte Solbach. Ab der frühen Kindheit gilt das Mikrobiom als relativ stabil, wird jedoch durch Ernährung, Sport, Krankheiten und auch Arzneimittel beeinflusst.

Die Wissenschaft hat bislang nur eine ungefähre Ahnung, welche Bakterienstämme hier »die guten« und »die schlechten« sind. »Es ist ein bisschen wie ein Mischwald, der im Gleichgewicht sein muss«, so Solbach. Was man bereits weiß: Antibiotika ändern die Zusammensetzung des Mikrobioms und mindern die Diversität – Letzteres ist grundsätzlich als schlecht anzusehen.

»Jede Antibiotika-Gabe führt zu einer Dysbiose, die nach bisherigem Kenntnisstand bis zu vier Jahre anhalten kann«, so Solbach. An einer Studie mit Neugeborenen mit Verdacht auf Sepsis stieg nach einer Therapie mit Amoxicillin und Cefotaxim beispielsweise die Zahl der fakultativ pathogenen Klebsiellen, während die Zahl der hilfreichen Bifidobakterien sank. 

Ob und wie lang ein Antibiotikum die Darmflora schädigt, kommt auch auf die Substanzklasse an. Eine niederländische Studie mit rund 1400 Erwachsenen zeigte im Jahr 2020, dass die Gabe von Makroliden im Vergleich zu  Chinolonen, Sulfonamiden, Beta-Lactamen und Tetrazyklinen die Darmflora stärker und länger schädigte. 

Schäden gehen über den Darm hinaus

»Eine solche Dysbiose hat Folgen weit über das Intestinum hinaus«, betonte der Mediziner, zum Beispiel wird sie mit Adipositas, Diabetes, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und sogar Krebs in Verbindung gebracht.

Wer mehr als drei Antibiotika-Therapien bekommt, hat zudem ein um 55 Prozent erhöhtes Risiko, an Clostridioides-difficile-Infektionen (CDI) mit sehr starken Durchfällen zu erkranken, die wiederum selbst mit Antibiotika (Metronidazol, Vancomycin oder Fidaxomicin), einem Antikörper (Bezlotoxumab) oder einer Stuhltransplantation behandelt werden müssen. Fidaxomicin als relativ neues Schmalspektrum-Antibiotikum greife dabei die Diversität weniger an als Vancomycin. Zudem sei die Rezidivrate geringer. Daher sei Fidaxomicin direkt zur Erstlinientherapie bei CDI avanciert, während Metronidazol nur noch gegeben werden sollte, wenn die anderen Therapieoptionen nicht verfügbar sind.

Komedikation als Schutzschild

Es werde auch probiert, andere Substanzen zusätzlich zu Antibiotika zu geben, um die »kommensalen« Bakterien nicht abzutöten, zum Beispiel Benzbromaron, Dicumarol oder Tolfenaminsäure, berichtete Solbach. »Das hat in ersten Versuchen zusätzlich zu Erythromycin oder Doxycyclin funktioniert.« Ebenfalls positiv verlief eine Phase-II-Studie mit 223 Patienten, die zusammen mit einem Chinolon ein besonders formuliertes Granulat auf Aktivkohlebasis (DAV132) erhalten hatten, das erst im Dickdarm freigesetzt wird und die dortigen Bakterien schützt. »Die Patienten hatten deutlich niedrigere Konzentrationen der Fluorchinolone im Stuhl, eine weniger beeinträchtigte Diversität des Mikrobioms und es traten weniger CDI auf«, fasste Solbach die Ergebnisse zusammen.

Hilfreich könne auch eine Supplementierung mit kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) und Probiotika sein, doch fehle hier noch die Evidenz für eine klare Empfehlung – auch weil sich die Präparate teils deutlich in ihrer Zusammensetzung unterscheiden.

Die fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT) müsse noch weiter optimiert und vor allem auch hinsichtlich ihrer Risiken untersucht werden, damit nicht beispielsweise ein immunsupprimierter Patient eine Spende mit für ihn gefährlichen Bakterien bekommt. Tatsächlich gab es hier vereinzelte Todesfälle – neben vielen teils spektakulären Erfolgsmeldungen.

Die FMT könne tatsächlich eine »One pill fits it all«-Option bezüglich verschiedener Erkrankungen sein, hofft Solbach, aber bis dahin sei es noch ein weiter Weg. »Grundsätzlich muss jede Therapie das Ziel haben, die Eubiose zu bewahren und eine Dysbiose schnell zu korrigieren«, so der Oberarzt. Dazu gehöre auch ein sehr gezielter und möglichst sparsamer Antibiotika-Einsatz.

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