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Piercings und Tattoos sind längst kein Phänomen gesellschaftlicher Ausnahmekulturen mehr. / Foto: Adobe Stock/absolutimages
Jeder fünfte Deutsche ist tätowiert und jeder zehnte gepierct. Körpermodifikationen sind also längst kein Phänomen gesellschaftlicher Ausnahmekulturen mehr. Im Gegenteil: Gerade Piercings und Tattoos haben sich unter den Schönheitstrends fest etabliert und sind somit mit Blick auf Pflege und Heilungsförderung zunehmend auch in der Apotheke als Beratungsthema gefragt.
Sowohl Tattoos als auch Piercings sind kleine chirurgische Eingriffe. Beim Piercen (to pierce, englisch = durchbohren, durchstechen) handelt es sich um die Perforation von Gewebe mit einer Hohlnadel zum anschließenden Einsetzen von Schmuck. Eine Sonderform ist das sogenannte »Play Piercing«, bei dem allein das Erleben im Vordergrund steht. Hier verbleiben die Nadeln einige Minuten bis hin zu wenigen Stunden im Stichkanal, ohne dass dauerhafter Schmuck eingesetzt wird.
Beim Dehnen des klassischen Ohrlochs im weichen Ohrläppchen entsteht ein Tunnel, dessen Durchmesser beliebig geweitet und entsprechend mit Schmuck versehen werden kann. / Foto: Grit Spading
Ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung sind die sogenannten Suspensions. »Suspender« (lateinisch: suspendere = aufhängen, schweben lassen) lassen sich beispielsweise Stahlhaken durch Brustgewebe, Rücken- oder Kniehaut bohren und sich daran mit Seil und Flaschenzug in die Luft ziehen, um bis zu 30 Minuten in diesem Zustand zu verharren.
Ob aus optischen Gründen oder für besseren Tragekomfort: Durch das Dehnen des klassischen Ohrlochs im weichen Ohrläppchen beim »Lobe Piercing« (lobe, englisch = Ohrläppchen, Lappen) entsteht die bekannteste Form dieser Körperveränderung, der sogenannte (Fleisch-)Tunnel, dessen Durchmesser beliebig geweitet und entsprechend mit Schmuck versehen werden kann.
Werden darüber hinaus auch Knorpelpiercings durchgeführt, so können diese neben einer erschwerten Heilungsphase mit einem intensiven Druckschmerz verbunden sein. Hier gilt das »Punchen« als gute Piercing-Technik, mit der der Schmerz umgangen werden kann. Mit einer Biopsienadel werden dabei Löcher aus Nasenflügeln oder Ohrknorpeln ausgestanzt.
Heute ist jeder fünfte Deutsche tätowiert; dabei sind zahlreiche Motive, Muster, Ornamente und Größen denkbar. / Foto: Lorena Denoville
Bei Tattoos wiederum werden mit speziell vibrierenden Nadeln Farbpigmente durch die Oberhaut (Epidermis) hindurch in die zweite Hautschicht, die Lederhaut (Dermis), eingestochen. Üblich sind je nach Motiv und Größe der betroffenen Hautareale 800 bis 7500 Nadelstiche pro Minute (1).
Unabhängig vom Verständnis oder Nichtverständnis für diese freiwilligen Körperveränderungen ist das pharmazeutische Personal laut § 20 Apothekenbetriebsordnung per se und somit auch hier zur wertungsfreien und vor allem kompetenten Beratung verpflichtet. Daher ist ein adäquates Hintergrundwissen unumgänglich.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Existenz und Arbeit des »Verbands Professioneller Piercer« e. V. (VPP), Berlin, zu kennen, der in seinen Richtlinien unter anderem strenge Hygiene- und ethische Grundregeln aufzeigt.
Grundsätzlich, das betont auch der VPP, sind vor jeder Berührung eines frischen Piercings die Hände zu desinfizieren. Noch nicht verheilte Piercings sollten nur mit klarem Wasser gewaschen werden, da Parfümstoffe aus Duschgelen beispielsweise Reizungen forcieren können. Schmuck darf nicht bewegt werden ohne die vorherige Entfernung von Verkrustungen. Nur so lassen sich Verletzungen der Wundränder ausschließen.
Unnötiger Druck sowie Reibung durch Kleidung oder Gürtel an der gepiercten Stelle sollen unbedingt vermieden werden. Je nach Lokalisation des Piercings benötigt der Körper unterschiedlich lange Zeit für die Wundheilung, die von sechs bis acht Wochen (Ohrläppchen, Augenbrauen et cetera) bis hin zu 12 Monaten (Brustwarzenpiercing bei Männern) dauern kann.
Ob in der Zunge, der Nase, den Lippen oder im Bauchnabelbereich: Ein Piercing geht durch den Ein- und Austritt der Nadel mit zwei offenen Stellen an der Hautoberfläche einher. (Abb. 4). Die eigentliche Verletzung jedoch ist der Stichkanal selbst, der zur Gewebezerstörung führt. Die Anwendung von Wundcremes oder Heilsalben gilt hier als ungeeignet. Das verletzte Areal sollte eher mit Kochsalzlösungen oder Kamillenspülungen gereinigt werden.
Ob in der Zunge, der Nase, den Lippen oder im Bauchnabelbereich: Ein Piercing geht mit einer Gewebezerstörung im Stichkanal einher, die besondere Maßnahmen zur Heilungsförderung erforderlich machen kann. / Foto: Adobe Stock/Yuri Krasilnikov
Zur Förderung der Heilung können bei Piercings im oralen Bereich zwei- bis dreimal täglich Mundspüllösungen eingesetzt werden, die Polihexanid, Povidon-Jod oder Aluminiumchlorid enthalten. Bei lokalen Schwellungen empfiehlt sich die Kühlung mit Eiswürfeln. Zusätzlich ist ein zweiwöchiger Verzicht auf Alkohol, Rauchen und stark gewürzte Speisen angezeigt.
Bei dermalen Piercings kommt neben Polihexanid-haltigen Lösungen zudem die mehrmals tägliche Versorgung mit Wasserstoffperoxid-haltigen Propanol-Lösungen oder auch Octenidin-haltigen Antiseptika zur Anwendung. Zu beachten ist, dass Hautantiseptika mit den Wirkstoffen Octenidin und Polihexanid aufgrund ihrer Knorpeltoxizität nicht auf Knorpelgewebe und im Innenohr beziehungsweise in Trommelfellnähe angewendet werden dürfen.
Die Komplikationsrate bei Piercings liegt bei circa 28 Prozent (2) und hängt im Wesentlichen von Faktoren wie Hygiene, Lokalisation des Stichkanals, Material des Körperschmucks und Nachsorge ab.
Die Komplikationsrate bei Piercings liegt bei circa 28 Prozent und hängt im Wesentlichen von Faktoren wie Hygiene, Lokalisation des Stichkanals und Material des Körperschmucks ab. / Foto: Grit Spading
Zu den Personen mit deutlich erhöhtem Risiko für Komplikationen gehören Patienten mit Diabetes mellitus oder einem beeinträchtigten Immunsystem, zum Beispiel nach Organtransplantation oder HIV-Infektionen, beziehungsweise Menschen mit Herzfehlern, Blutungsneigung oder atopischer Dermatitis beziehungsweise Glucocorticoid-Therapie (3).
Bakterielle und virale Infektionen gelten neben Blutungen, Ausrissen, Allergien, überschießender Narbenbildung (Keloiden) und Fremdkörpergranulomen als Hauptrisiken von Piercings (4, 5, 6). Am komplikationsträchtigsten sind Piercings im Genitalbereich sowie in Brustwarzen, Zunge, Bauchnabel, Ohren und Nase (2).
Als mögliche Komplikationen von Brustwarzenpiercings bei Frauen sind Abszesse oder Laktationsstörungen durch Verstopfung der Milchdrüsengänge bekannt. Bei Ohrpiercings besteht die Gefahr einer Ohrmuschelperichondritis (4, 5, 6). Hier können eine systemische Antibiose oder sogar chirurgische Eingriffe unumgänglich werden.
Bei leichten Entzündungen, die beispielsweise mit einer Rötung einhergehen, können neben Povidon-haltigen Lösungen auch Tyrothricin-haltige Wundgele indiziert sein. Je nach Stärke der Entzündung kann es unumgänglich werden, den Schmuck zu entfernen. Bei starken Schwellungen, Schmerzen und Absonderung von Eiter sowie chronisch anhaltenden Beschwerden sollte der Patient an einen Arzt verwiesen werden.
Piercings bestehen heutzutage nicht nur aus Metall, sondern unter anderem auch aus Silikon, Holz, Glas, Titan, Horn, Stein oder Polytetrafluorethylen (PTFE; Teflon). Die Kenntnis des Materials ist wichtig, um die Frage beantworten zu können, ob – sollte ein bildgebendes Verfahren wie Röntgen beziehungsweise Computer- oder Magnetresonanztomografie anstehen – der Schmuck zwingend entfernt werden muss.
Da Magnetresonanztomografen mit starken Magneten arbeiten, dürfen sich in der zu untersuchenden Region keine selbst magnetischen Metallteile befinden. Beim Röntgen oder bei der Computertomografie können Metallteile im Untersuchungsfeld das entstehende Bild und damit die Diagnose verschleiern oder verfälschen. Hier müssen metallhaltige Piercings also auf jeden Fall »raus«. Piercings aus PTFE hingegen sind nicht magnetisch. Das Material ist auf Röntgenbildern nicht sichtbar und kann auch als Platzhalter eingesetzt werden, wenn anderer Schmuck herausgenommen werden muss.
Stichwort »alternative Behandlungsverfahren«: Wird im Internet das sogenannte »Daith Piercing« in der waagerechten Brücke und innersten Auswölbung der Ohrmuschel als Therapie gegen Migräne und Clusterkopfschmerz empfohlen, so gibt es dafür keine pathophysiologische Grundlage. Die Deutsche Migräne und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) rät somit vom »Daith Piercing« zur Migränebehandlung dringend ab.
Wie jede Körpermodifikation kann auch ein Piercing irgendwann nicht mehr gewollt sein. Der Schmuck wird herausgenommen, der zumeist gedehnte Stichkanal jedoch bleibt sichtbar. Hier kann eine kleine Operation Abhilfe schaffen. Bei einem circa 20-minütigen Eingriff wird der Hautschlauch, der sich nach dem Stechen entlang des schmalen Stichkanals gebildet hat, zur Gänze herausgeschnitten. Der Stichkanal wird im Anschluss komplett vernäht.
So »verschwinden« auch kleine Löcher in den Augenbrauen, der Nase oder den Lippen. Weit gedehnte Tunnellöcher in den Ohrläppchen können nach einer Umverteilung des Gewebes zusammengenäht werden. Dies kann jedoch mit größeren Narben verbunden sein.
Als Tätowierung (englisch Tattoo; abgeleitet vom ostpolynesischen Wort »tatau« = richtig schlagen) wird das Einritzen, Einstechen oder Einklopfen von Mustern, Bildern und Ornamenten mit sogenannten Tattoo-Farben mittels Nadeln unter die menschliche Haut bezeichnet (7).
Bei Tattoos werden mit speziell vibrierenden Nadeln Farbpigmente durch die Oberhaut hindurch in die zweite Hautschicht, die Lederhaut, eingestochen. / Foto: Grit Spading
Das Tätowieren ist je nach Größe und Hautstelle per se ein sehr schmerzhafter Prozess. Daher wird im Vorfeld oft nach einem lokalen Betäubungsmittel gefragt. Rezeptfrei können in der Apotheke Cremes und Pflaster mit einer Wirkstoffkombination aus Lidocain und Prilocain abgegeben werden.
Es gibt auch Formulierungen, die nur Lidocain beinhalten. Eine bis zwei Stunden vor dem Tattoo wird die jeweilige Creme auf die gewünschte Hautstelle aufgetragen und mittels Okklusionsverband, also luftdichter Kunststofffolie, oder entsprechendem Pflaster, abgedeckt, um eine Anästhesie von mindestens zwei Stunden zu erreichen.
In einigen Apotheken gibt es Anfragen zur Herstellung sehr hoch konzentrierter Lidocain-Zubereitungen im Bereich zwischen 20 bis 40 Prozent zur hauptsächlichen Anwendung während des Tätowierens. Sinnvolle Konzentrationen von Lidocain-Präparaten für die nicht medizinische Anwendung liegen gemäß deutscher Arzneimittelkommission jedoch zwischen 1 und 5 Prozent. Aus Stabilitäts- und Sicherheitsgründen sollten zudem nicht mehr als 50 Milliliter abgegeben werden (8, 9).
Von der Abgabe zu hoch konzentrierter Zubereitungen wird nicht zuletzt auch abgeraten, da durch unkontrollierte topische Anwendung zu viel Lidocain in den Blutkreislauf gelangen und es so zu gefährlichen Komplikationen im Bereich des Gehirns, des Herzens oder des Bluts (Methämoglobinämie) kommen kann. Herzrhythmusstörungen, Krampfanfälle oder Atemdepression könnten die Folge sein (10, 11).
Blutverdünnende Medikamente sollten wie bei Piercings vor dem »Stichtag« rechtzeitig abgesetzt werden. Dieses gilt gerade für Phenprocoumon und Warfarin aufgrund ihrer längeren Halbwertszeit. Bei neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) wie Apixaban, Dabigatran oder Rivaroxaban reicht in der Regel genauso wie bei Acetylsalicylsäure eine ein- bis zweitägige Einnahmepause. In jedem Fall ist eine Rücksprache mit dem Arzt erforderlich.
Eine frisch tätowierte Hautstelle wird vom Tätowierer nach der Sitzung großflächig mit (Frischhalte-)Folie umwickelt und abgeklebt, sodass in den darauffolgenden Stunden die Wunde vor äußeren Einflüssen geschützt ist. In dieser Zeit bildet sich Wundsekret unter der Folie und die Haut sondert überschüssige Farbe ab. Längeres Tragen ist wegen des möglichen Wärme- und Feuchtigkeitsstaus nicht ratsam.
Nach Entfernen der Folie und Reinigung des Tattoos mit Wasser gibt es für die weiterführende Pflege zwei verschiedene Wege. Für die trockene Heilung der Wunde gilt, diese unbedeckt zu lassen. Das Tattoo wird lediglich ein- bis zweimal täglich eingecremt, damit die entstehende Kruste nicht Gefahr läuft, zu hart zu werden oder bei Bewegung aufzureißen. Diese darf keinesfalls und schon gar nicht durch Kratzen entfernt oder beschädigt werden. Das könnte zur Narbenbildung führen.
Bei der feuchten Wundheilung erfolgt das Abdecken mit selbstklebenden und flexiblen Folienverbänden oder hydroaktiven Wundauflagen, die gleichermaßen vor Bakterien und Schmutz schützen (12).
Die Tragedauer beträgt zwischen zwei und fünf Tagen. Wichtig zu wissen: Einige Folienverbände, die steril einzeln verpackt sind oder »von der Rolle« kommen, können eine Allergie gegen Polyacrylatklebstoff auslösen. So oder so: Nach Abnahme des Folienverbands sollte drei- bis fünfmal täglich gecremt werden.
Spezielle Tattoo-Schäume und -Cremes fördern die Regeneration der Haut und verleihen dieser wieder Flexibilität. / Foto: Grit Spading
Vaseline oder Melkfett sind wegen ihrer okklusiven Eigenschaften zur Pflege nicht geeignet. Sie legen sich wie ein Film über die Haut, dadurch kann diese nicht atmen, was die Wundheilung behindert. Wegen des potenziell allergieauslösenden Charakters sind pflanzliche Zubereitungen, etwa mit Ringelblumenextrakt oder Teebaumöl, ebenfalls kritisch zu betrachten. Zinkoxid sollte, da austrocknend, als Bestandteil in Zubereitungen gleichermaßen gemieden werden.
Spezielle Tattoo-Schäume, die das Wort »Tattoo« oft bereits im Präparatenamen tragen, kühlen die verletzte Hautstelle und lassen sich leicht verteilen, was in der ersten Zeit angenehm sein kann. Spezielle Tattoo-Cremes mit beispielsweise Dexpanthenol oder Sheabutter fördern im weiteren Heilungsverlauf unter anderem die Regeneration der Haut und verleihen dieser Flexibilität. Der sich bildende Salbenfilm von gängigen Dexpanthenol-haltigen Wund- und Heilsalben wird von vielen Nutzern gerade in den ersten Tagen als zu fettig und »farbziehend« empfunden. Solche Präparate eignen sich eher nach der Krustenbildung.
Als Gemische aus Pigmenten, Trägerflüssigkeit, Verdickern, Konservierungsmitteln und einer Vielzahl anderer teilweise unbekannter Einzelsubstanzen bergen Tattoo-Farben auch Gefahren. Zur Risikoeinschätzung fehlen Langzeitbeobachtungen. Es gibt jedoch erste Hinweise, dass es zu chronischen Gesundheitsschäden kommen kann.
Als Gemische aus Pigmenten, Trägerflüssigkeit, Verdickern, Konservierungsmitteln und einer Vielzahl anderer teilweise unbekannter Einzelsubstanzen bergen Tattoo-Farben besondere Risiken. / Foto: Adobe Stock/Yakobchuk Olena
Nach Einschätzung der European Chemicals Agency (ECHA) vom 21. Januar 2020 können Tätowierfarben Substanzen beinhalten, die nicht nur Allergien beziehungsweise Schwellungen, Rötungen, Juckreiz oder Ausschläge auslösen (13, 14), sondern zudem unter anderem krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind.
Unter den circa 4000 Chemikalien in Tätowierfarben spielen hier unter anderem Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Nitrosamine, aromatische Amine, Formaldehyd(abspalter), halogenorganische Stoffe, Nickel, weitere Metalle, Methanol und spezifische Pigmente eine Rolle (15).
Untersuchungen zeigen, dass Letztere vielfach von Makrophagen umhüllt werden, die dazu beitragen können, dass die Farben nicht nur lebenslang in der Haut verweilen, sondern sich auch im Organismus verteilen können (16, 17).
Manche Tattoo-Farben enthalten infolge der Spaltung auch Nanopartikel, die in der Lage sind, sich besonders schnell über Lymphe und Blutstrom im Körper zu verbreiten beziehungsweise in innere Organe zu gelangen (18, 19).
Da chronische Gesundheitsauswirkungen wie die Entstehung von Krebs erst Jahre oder Jahrzehnte nach Einwirkung der Schadstoffe auftreten, lassen sich nachweisliche Zusammenhänge zwischen Tattoos und chronisch schädlichen Effekten bislang noch nicht aufzeigen. Lediglich einige Studien zeigen bereits, dass das Stechen von Tattoos das Risiko der Entstehung von Hautkrebs erhöhen kann (20, 21).
Tätowiermittel unterliegen in Europa der »Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit« (22) sowie der EU-Kosmetik-Verordnung (23). In Deutschland erfolgt die Reglementierung der Tätowiermittel durch die 2009 in Kraft getretene Tätowiermittelverordnung (TätoV). Diese umfasst Negativlisten mit gesundheitsschädlichen Substanzen, die nicht in Tätowierfarben enthalten sein dürfen, jedoch keine Positivlisten mit Pigmenten, die in Tätowiermitteln ohne Gesundheitsrisiko verwendet werden können (24).
Dies wäre jedoch als Orientierung sowohl für Tätowierer als auch für Tätowierwillige wünschenswert, da ansonsten auch die »Rapid Exchange of Information System«-(Rapex-)Liste als Schnellwarnsystem der Europäischen Kommission nur Meldungen zu schädlichen Tattoo-Farben sowie entsprechende Zusatzinformationen für Tätowierer über gefährliche Inhaltsstoffe in Tattoo-Farben umfasst.
Ganzkörpertätowiert mit zahlreichen Implantaten und Piercings unter und in der Haut: der Berliner Magneto. / Foto: Raymond Angeles
Bodymodification ist ein Sammelbegriff für alle Aktivitäten, die mehr oder weniger permanent den Körper verändern. Dazu zählen genau genommen auch das Rasieren oder Färben der Haare, Kraftsport sowie Abnehmkuren (31). Unterschieden werden medizinische Bodymodifications wie Liftings oder Brustimplantate und nicht medizinische Bodymodifications, zu denen neben Tattoos und Piercings auch extremere Formen, zum Beispiel Ziernarben, Zierimplantate, Spaltungen oder sogar Amputationen zählen.
Unter »Skarifikation« (lateinisch: scarificatio/scarifatio = das Ritzen) versteht man das Einbringen von Ziernarben in die Haut. Schmucknarben durch Verbrennungen werden durch »Branding« geschaffen. Beim Heißbrandverfahren wird die Haut mit glühenden Stahlplättchen oder Draht im gewünschten Muster verbrannt. Bei der Kaltbrandversion geschieht dies durch ein mit flüssigem Stickstoff auf minus 80 Grad heruntergekühltes Eisen.
Beim »Cutting« werden kontrolliert Narben durch Schnitte in die Haut erzeugt. Für einfache Strichnarben wird die Haut mit einem Skalpell je nach Stelle circa 3 Millimeter tief eingeschnitten. Bei kunstvollen Motiven hingegen ist es notwendig, eine Fläche mit dem Skalpell zu umkreisen und die Haut anschließend abzuziehen (»skin removal«). Um besonders gut sichtbares Narbengewebe zu erzeugen, wird der Heilungsprozess durch wiederholtes Öffnen der Schnitte oder Einreiben mit Essig irritiert.
Eine weitere Möglichkeit der Hautveränderung bieten Zierimplantate. Ein »Transdermal« ist ein unter der Hautoberfläche liegendes Metallplättchen mit einem durch die Haut ragenden Gewindestab, auf den Schmuck geschraubt werden kann. Ein »Implant« hingegen ist ein subdermales Implantat meist aus Silikon, das sich in einer mittels Dermal-Elevator geschaffenen Hauttasche befindet. Durch Verkapselung des 3-D-Fremdkörpers nach circa sechs Wochen verbleibt dieser an dem gewünschten Ort und verändert dauerhaft Optik und Form der Hautstelle.
»Splitting« ist das Teilen verschiedener Körperteile. Am extremsten ist hierbei die »Subinzision«, also die teilweise oder vollständige Spaltung der Unterseite des Penis entlang der Harnröhre. Die bekannteste Form ist das »Forking«, die Spaltung der Zunge. Hierbei wird der vordere Teil der Zunge mit einem Skalpell entlang der Mittellinie aufgeschnitten und die Wunden werden durch Vernähen oder mit Hitze geschlossen.
Die sicherlich fragwürdigste Form der Bodymodification ist die komplette Abtrennung eines Körperteils und hier unter anderem die Amputation eines Arms oder Beins (31), wenn diese Gliedmaßen als »unästhetisch« beziehungsweise fremd und störend empfunden werden.
Als Ursache der sogenannten »Body Integrity Identity Disorder«, also der seit 2008 in der psychiatrischen Literatur aufgezeigten, wenn auch seltenen, jedoch zunehmenden »Körperintegritäts-Identitätsstörung«, werden neuroanatomische Veränderungen funktioneller Hirnregionen, genauer Beeinflussungen des funktionellen Vernetzungsgrads und der Dichte der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen, diskutiert (32). Diese Erkrankung wurde 2019 in die »Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme« (ICD 11) aufgenommen.
Zwar können mögliche Tattoo-Gifte, sofern sie erst einmal tiefer in den Organismus eingedrungen sind, nicht mehr vollständig ausgesondert werden. Besteht jedoch der Wunsch, das Tattoo entfernen zu lassen, so gibt es mehrere Möglichkeiten wie unter anderem die ärztliche Laserbehandlung (25), die jedoch gleichermaßen mit Gefahren verbunden ist.
Bei der Entfernung einer Tätowierung mittels Laser werden die Farbteilchen des Tattoos in winzige Partikel zerbrochen, die dann vom Körper abtransportiert werden. Allerdings können dabei auch Spaltprodukte entstehen, die toxisch für den Körper sind. Außerdem gibt es das Risiko von Verbrennungen, Pigmentstörungen und allergischen Reaktionen.
Ein weiteres Verfahren ist die Entfernung von Tattoos mit 40-prozentiger Milchsäure, die analog zu den Pigmenten in die Dermis appliziert wird. Hierbei sind schwere Entzündungsreaktionen mit Narbenbildung beobachtet worden. Gleiches gilt für die Diathermie, bei der in der Haut mittels Strom Temperaturen erzeugt werden, unter denen die Farbpigmente quasi verbrennen.
Eine weitere Möglichkeit ist die Dermabrasion (Hautabschleifung) mittels eines Sandstrahlgerätes oder einer Fräse. Im Fall kleiner Tattoos kann die betreffende Hautstelle unter örtlicher Betäubung chirurgisch entfernt (Exzision) und die angrenzenden Areale können zusammengenäht werden. Das sogenannte Waterjet-Cutting ist eine Methode, bei der der tätowierte Hautbereich unter Vollnarkose mit einem feinen Wasserstrahl unterhöhlt und die Farbpigmente weggespült werden. In allen Fällen hängt der Behandlungserfolg unter anderem von der Menge und der Art der für das Tattoo verwendeten Farbstoffe ab.
Trotz aller potenziellen Gefahren: Wenn sich jemand wirklich eine Bodymodification wünscht, wird man ihn mit Hinweisen auf medizinische Risiken kaum davon abhalten können. Zumal es oftmals nicht nur um die Optik geht.
Die Gründe für ein Tattoo beispielsweise sind nicht immer offensichtlich, dafür aber vielfältig. Neben der Körperverzierung reichen weitere Motivationen von der »hautschriftlichen« Zusage zur Organspende bis hin zum Verdecken hässlicher Narben und Brustwarzenrekonstruktionen von Brustkrebspatientinnen nach Amputation (26). Bei der Weißfleckenerkrankung können die depigmentierten Areale durch Tätowierung mit »künstlichem Pigment« unsichtbar gemacht werden.
Vor allem psychische Gründe dürfen nicht unbedacht bleiben (27, 28). Bei Borderlinern vermag eine Tätowierung selbstverletzendes Verhalten durch Leitgedanken wie »Don’t forget to love yourself« zu minimieren (29). Auch entsprechende Tätowierungen im Rahmen des sogenannten SemiCoolon-Projekts haben tiefere Gründe. Das Semikolon hat eine einfache, aber bedeutende Message: Es wird genutzt, wenn der Autor seinen Satz hätte beenden können, aber entschieden hat, es nicht zu tun. Somit steht dieses Zeichen für suizidgefährdete Menschen, die ihrem Leben ein Ende bereiten wollten, aber den Entschluss fassten weiterzuleben (30).
Zwar ist die Frage nach dem »Warum« einer Handlung grundlegend tief in jedem Menschen verankert. Die Beantwortung dieser Frage kann und darf jedoch weder Voraussetzung noch zwingender Bestandteil des Beratungsgespräches in der Apotheke sein. Niemand darf sich hier aufgefordert fühlen, Rechenschaft ablegen zu müssen. Aufgabe der Apotheke ist es, in jeder Hinsicht persönlich, individuell, zugewandt, professionell und kompetent sowie vor allem stets wertungsfrei zu beraten und zu informieren. Auch das ist es, was die Apotheke unverzichtbar macht.
Grit Spading hat von 1997 bis 2000 eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin (PTA) absolviert und zunächst fünf Monate als PTA in einer Schweriner Apotheke gearbeitet. Ende 2000 begann sie mit dem Studium der Pharmazie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 2006 fertigte Spading am Institut für pharmazeutische Technologie ihre Diplomarbeit an und erhielt zudem die Approbation als Apothekerin. Bis 2020 als angestellte Apothekerin in Apotheken in Eckernförde und Flensburg tätig, spezialisierte sie sich unter anderem auf den Gebieten Sucht- und Palliativpharmazie. Von 2009 bis 2015 war Spading nebenberuflich als Dozentin an einer PTA-Schule tätig. Spading ist seit 2015 ehrenamtliche Pharmazierätin des Landes Schleswig-Holstein, seit 2016 Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte, seit 2016 Mitglied im Fortbildungsausschuss der Apothekerkammer und seit 2018 Mitglied in der Kammerversammlung Schleswig-Holstein. Sie arbeitet derzeit als angestellte Apothekerin in einer Apotheke in Kappeln. Freiberuflich engagiert sie sich als Referentin diverser Apothekerkammern.