Analyse zweifelt Nutzen der Cholesterolsenkung an |
Daniela Hüttemann |
04.08.2020 16:00 Uhr |
Allein auf den LDL-Cholesterol-Wert zu schauen, ist zu kurz gegriffen, um das kardiovaskuläre Risiko zu senken, meinen die Autoren einer neuen Analyse. / Foto: Getty Images/GIPhotoStock
LDL, das »böse« Cholesterol, wird als essenziell bei der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen angesehen. Daher scheint es logisch, es als Wirkstofftarget zu adressieren, geben auch die Autoren einer neuen Analyse zu, die heute im Fachmagazin »BMJ Evidence Based Medicine« erschienen ist. Allein, es scheint nicht zu funktionieren, zeigen die harten Daten. Das Autorenfazit nach Zusammenfassung von 35 randomisierten placebokontrollierten Studien: »In Anbetracht dessen, dass Dutzende Studien zur LDL-Reduktion keinen konsistenten Nutzen zeigen konnten, sollten wir die Validität dieser Theorie infrage stellen.«
Weltweit bekommen Millionen Menschen Cholesterolsenker verordnet, meist im Einklang mit den gültigen Leitlinien. Demnach sollten sie vier Gruppen von Patienten mit moderatem bis hohem Risiko verschrieben werden: 1. Patienten, bei denen bereits ein kardiovaskuläres Ereignis eingetreten ist, 2. erwachsenen Patienten mit Diabetes, 3. Personen mit LDL-Werten ≥ 190 mg/dl und 4. Personen mit einem geschätzten 10-Jahres-Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis von ≥ 7,5 Prozent. Derzeit wird empfohlen, den ursprünglichen LDL-Wert bei diesen Gruppen um 30 bis 50 Prozent zu senken, und zwar mit HMG-CoA-Reduktase-Hemmern (Statine), Ezetimib (Ezetrol®) als Cholesterol-Absorptions-Inhibitor oder den noch relativ neuen PCSK9-Inhibitoren Evolocumab (Repatha®) und Alirocumab (Praluent®).
Dieser Ansatz sei aber nie richtig validiert worden, bemängeln der Internist und Kardiologe Dr. Robert DuBroff von der University of New Mexico School of Medicine, Albuquerque, USA, Dr. Aseem Malhotra, Professor für evidenzbasierte Medizin an der Bahiana School of Medicine in Salvador, Brasilien, sowie der umstrittene Ernährungswissenschaftler Dr. Michel de Lorgeril von der Universität Grenoble in Frankreich.
Das hat das Trio nun nachgeholt – mit enttäuschendem Ergebnis: Mehr als drei Viertel der 35 eingeschlossenen Studien zeigten keinen Effekt auf das Sterberisiko und fast die Hälfte der Studien konnte keinen Einfluss auf das Risiko der Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung nachweisen.
Zudem gebe es keine klare Beziehung zwischen Ausmaß der LDL-Senkung und Größe des klinischen Effekts. Bei 13 Studien wurde zwar der angestrebte LDL-Wert erreicht, doch nur eine davon konnte eine Reduktion der Sterblichkeit nachweisen und nur fünf eine Risikoreduktion für ein kardiovaskuläres Ereignis. Dagegen erreichten die Probanden von 22 Studien zwar nicht den gewünschten LDL-Wert, doch vier Studien berichteten über einen positiven Einfluss auf die Sterblichkeit und 14 auf das kardiovaskuläre Risiko. »Dieses Ausmaß an Inkonsistenz war für alle drei Wirkstofftypen zu finden«, schreiben die Forscher.
»In den meisten Bereichen der Wissenschaft führt das Vorhandensein widersprüchlicher Beweise normalerweise zu einem Paradigmenwechsel oder einer Modifikation der fraglichen Theorie. In diesem Fall wurden die widersprüchlichen Beweise jedoch weitgehend ignoriert, einfach weil sie nicht zum vorherrschenden Paradigma passen.«
Sie untermauern ihre eigene Analyse mit Angaben aus anderen Studien. Zwischen 2002 und 2013 habe sich der Statin-Gebrauch in den USA nahezu verdoppelt und die Cholesterolwerte seien gefallen, während jedoch die kardiovaskulären Todesfälle eher zugenommen hätten. Auch in Schweden, wo Statine recht großzügig verordnet würden, sei dies nicht mit einer signifikanten Senkung der Herzinfarktrate oder Mortalität verknüpft. Im Gegenteil: Es gebe sogar Hinweise, dass die Statin-Einnahme mit ungesundem Verhalten verknüpft sei.
Was empfehlen die Autoren nun? Sie schlagen eine informierte gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient für oder gegen ein Cholesterol-senkendes Mittel vor. Nutzen und Risiken sollten genau abgewogen werden.