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ABDA-Talk

Ampel-Koalition will über Nullretax und Engpass-Pauschale reden

Gesundheitsexpertinnen und -experten der Ampel-Koalition haben der Apotherkerschaft bei einem ABDA-Talk am gestrigen Abend versprochen, nochmals über die Themen Austauschfreiheiten, Nullretaxationen und die Höhe der geplanten Engpass-Pauschale zu beraten. Apothekerinnen und Apotheker aus Sachsen-Anhalt und Berlin nutzten die Diskussion, um gegenüber der Politik die Brisanz der Lieferengpass-Krise darzustellen.
Melanie Höhn
17.03.2023  13:25 Uhr

Im Rahmen ihrer Protestaktion gegen das geplante Lieferengpass-Gesetz hatte die ABDA am gestrigen Abend zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus dem Gesundheitsausschuss des Bundestages sowie Apothekerinnen und Apotheker zur Talk-Runde »Lass uns Reden« eingeladen. PZ-Chefredakteur Benjamin Rohrer diskutierte als Moderator mit den Gästen Apothekerin Ina Lucas, Apotheker Ulrich Grosch, Apothekerin Anne-Kathrin Haus, ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, dem SPD-Apothekenexperten Dirk Heidenblut, dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Andrew Ullmann, dem CDU-Apothekenexperten Georg Kippels sowie der gesundheitspolitischen Sprecherin der Linken-Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler. Digital zugeschaltet war außerdem Paula Piechotta, apothekenpolitische Sprecherin der Grünen.

Wie angespannt die Lage in ihrer Apotheke ist, machte Apothekerin Anne-Kathrin Haus dem Podium schon zu Beginn des gestrigen politischen Talks im Apothekerhaus mehr als deutlich: »Es hat sich in den vergangenen Monaten massiv zugespitzt: Vier von fünf Rezepten kann ich nicht mehr normal beliefern, das funktioniert einfach nicht mehr. Wir müssen oft von der Packungsgröße abweichen, aber noch häufiger kommt es vor, dass wir eine andere Stärke nehmen müssen, die Dosis anpassen müssen. Das ist unglaublich aufwendig.«

Passus im UPD-Gesetz nur Übergangslösung

Genau wegen dieser Probleme fordert die ABDA, dass die Regelungslücke, die ab dem 8. April entsteht, wenn die Sars-Cov-2-Arzneimittelversorgungsverordnung ausgelaufen ist, schnellstmöglich geschlossen werden muss. Zwar hat der Bundestag gestern das Gesetz zur Neustrukturierung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands (UPD) beschlossen und einen Passus per Änderungsantrag eingefügt, der den Apotheken bis Ende Juli mehr Austauschfreiheiten bei der Abgabe von Rabattarzneimitteln ermöglicht. Aber: »Es bleibt nur eine Übergangslösung und deswegen ist es wichtig, dass wir darauf aufmerksam machen, dass wir nach Ablauf dieser vier Monate eine dauerhafte und verlässliche Lösung in den Apotheken brauchen«, machte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening gestern deutlich. 

Dass ohne diese Austauschfreiheiten die Schwierigkeiten in der Versorgung noch größer werden, liegt auf der Hand. Doch auch schon jetzt gibt es in der Apotheke von Ulrich Grosch aus Halberstadt große Probleme – vor allem was die Nicht-Lieferbarkeit von Medikamenten angeht: »Die Lieferengpässe haben ein derartiges Ausmaß angenommen, dass es unerträglich ist. Es gibt Tage, an denen wir nichts anderen machen, als parallel verschiedene Lieferengpässe zu bearbeiten«. Zudem berichtete die Apothekerin Ina Lucas aus Berlin über extreme Schwierigkeiten bei der Versorgung von Kindern. »Angesichts der engen Personaldecke und den drei zurückliegenden Pandemie-Jahren kommen diese Dinge noch erschwerend hinzu«, so Lucas.

BfArM-Lieferengpassliste in der Diskussion

Ein weiteres großes Thema des Talks war die Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die Ampel-Koalition will die neuen, gelockerten Abgaberegeln in der Apotheke an eine beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte Liste knüpfen. Apothekerin Ina Lucas kritisierte diese Liste gestern Abend als »bürokratische Dokumentationsfalle«. Die Frage, warum es die Idee mit der Lieferengpass-Liste gibt, konnte Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, gestern Abend nicht beantworten. Er sieht darin Diskussionsbedarf und es müsse austariert werden, was praktikabel ist und was nicht. Er kritisierte, dass die Liste nur abbilde, welche Arzneiwirkstoffe nicht erhältlich sind und nicht die Packungsgrößen. Außerdem wundere ihn, dass die Liste nicht digitalisiert sei und nur als PDF-Dokument vorliege. Am Ende wolle man die Versorgung »verbessern, nicht verschlechtern«, so Ullmann. Paula Piechotta, Bundestagsabgeordnete der Grünen, findet es jedoch »durchaus nachvollziehbar, eine Kopplung an tatsächlich existierende Lieferengpässe vorzunehmen«.  

Auch Dirk Heidenblut, apothekenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, sieht es kritisch, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit der Lieferengpass-Liste »einen einschränkenden Weg geht«, sagte er. »Wir werden das diskutieren und verhandeln müssen unter den Koalitionspartnern«. Positiv hingegen äußerte er sich zur Verlängerung der Austauschregeln: Ich freue mich sehr, dass wir kurz vor knapp noch einen Änderungsantrag auf den Weg bringen konnten, der flexible Austauschregeln für Apotheken ermöglicht, wenn Arzneimittel nicht mehr verfügbar sind«, erklärte er kurz nach dem Bundestagsbeschluss in einer Pressemeldung. Das sorgt seiner Ansicht nach für mehr Planungssicherheit in der Arzneimittelversorgung und hilft im Kampf gegen die Lieferengpässe. Dem Gesundheitspolitiker geht das aber noch nicht weit genug: Der nächste Schritt aus seiner Sicht ist »die Überführung der flexiblen Handhabe der nicht vorrätigen Arzneimittel in eine dauerhafte, entfristete Regelung«, betonte er.

Kritik an Null-Retaxationen

Daran anknüpfend warf der CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Kippels ein: »Man könnte den Eindruck gewinnen, das alles ist für die Apotheken ein bisschen mehr Prüf- und Suchaufwand. Aber man muss im Hinterkopf behalten: Wenn die Rezepte nicht korrekt abgegeben werden, droht das Damoklesschwert der Nullretaxation.« Wenn man die Apotheken mit diesem erhöhten Prüfaufwand belaste, müssten im selben Atemzug die Nullretaxation mit dem Warenwert komplett entfallen, forderte er. »Das Risikopotenzial ist sonst riesig«. 

Daraufhin forderte Gabriele Regina Overwiening, Nullretaxationen in einem Lieferengpass-Gesetz gesetzlich zu verhindern und zu verbieten. Auch Dirk Heidenblut sieht dieses Thema kritisch: »Die Frage der Nullretaxationen müssen wir uns grundsätzlich vornehmen. An der Stelle müssen wir ganz sicher etwas tun, davon bin ich überzeugt«. Auch Andrew Ullmann ist der Meinung, dass Nullretaxationen nur bei groben apothekerlichen Fehlern akzeptierbar seien. Es gehe vor allem um die Abschaffung der »Kleinkariertheit« bei diesem Thema. »Wir dürfen nicht versuchen, das Haar in der Suppe zu finden.« 

Engpass-Pauschale heiß diskutiert

Ein weiteres heiß diskutiertes Thema war die Engpass-Pauschale: Die Bundesregierung will die Apotheken für das Lieferengpass-Management gesondert vergüten. Bei defekten Arzneimitteln sollen sie (nach einem Abgleich mit der BfArM-Liste) zusätzlich 50 Cent abrechnen können. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wer auf die Idee mit den 50 Cent gekommen ist. Die sind für mich wild gegriffen und vollkommen indiskutabel«, sagte Georg Kippels. Auch Dirk Heidenblut möchte in diesem Punkt beim geplanten Lieferengpass-Gesetz der Bundesregierung noch einmal nachjustieren: »Ich weiß nicht, warum diese 50 Cent gegriffen wurden. Da müssen wir hinschauen und auch bei dem gesamten Gesetz nochmal hinschauen«, sagte er. FDP-Gesundheitspolitiker Andre Ullmann ist jedoch der Meinung, dass pharmazeutische Beratung und Leistung entsprechend belohnt werden sollen. Die Expertinnen und Experten aus den Regierungsfraktionen waren sich einig, dass die Pauschale noch Gegenstand einiger politischer Diskussionen sein wird. Die Apothekerin Anne-Kathrin Haus hatte zum Schluss noch eine Bitte an die Politiker: »Kommen Sie zu uns in die Apotheke. Wir sind nicht an der Belastungsgrenze, sondern weit darüber hinaus«. 

Hier können Sie die gesamte Diskussion anschauen:

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