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Typ-2-Diabetes

Abnehmen bis zur Remission

Einmal Typ-2-Diabetes, immer Typ-2-Diabetes? Das gilt nicht für alle Patienten. Bislang ist zwar keine Heilung in Sicht, aber eine Remission ist möglich. Diese ist direkt gekoppelt mit einer deutlichen Gewichtsreduktion.
Brigitte M. Gensthaler
08.02.2022  14:00 Uhr

Vor wenigen Monaten hat die US-amerikanische Diabetes-Gesellschaft (American Diabetes Association, ADA) im Fachjournal »Diabetes Care« eine Definition des Begriffs Remission beim Typ-2-Diabetes veröffentlicht. »Nach der ADA-Definition ist der Diabetes dann nicht mehr messbar. Das bedeutet, dass der HbA1c-Wert unter 6,5 Prozent (48 mmol/mol) sinkt und mindestens drei Monate lang ohne eine Intervention, also ohne Blutglucose-senkende Therapie, anhält«, informierte Professor Dr. Jens Aberle vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf bei einer Online-Pressekonferenz zum Kongress »Diabetologie grenzenlos«.

Die DiRECT-Studie (Diabetes Remission Clinical Trial, DOI: 10.1016/S0140-6736(17)33102-1) hat die Wirksamkeit einer Ernährungsintervention bei adipösen Typ-2-Diabetikern bereits 2017 gezeigt. Nach zwölf Monaten hatten 24 Prozent der Patienten unter einer strengen Reduktionsdiät mehr als 15 kg abgenommen und 46 Prozent hatten eine Diabetes-Remission. In der Kontrollgruppe gelang dies nur 4 Prozent. »Die Remission eines Typ-2-Diabetes ist mit einem Lebensstilprogramm erreichbar und direkt gekoppelt mit der Gewichtsreduktion«, resümierte der Diabetologe.

Ähnlich gute Ergebnisse zeigte 2020 die DIADEM-I-Studie (DOI: 10.1016/S2213-8587(20)30117-0) bei übergewichtigen und adipösen Menschen mit kurzer Diabetesdauer. Mit einem intensiven Interventionsprogramm, unter anderem einer Formuladiät, verlor jeder fünfte Teilnehmer innerhalb eines Jahres mehr als 15 Prozent seines Ausgangsgewichts und sechs von zehn erreichten eine Diabetes-Remission (versus 12 Prozent in der Kontrollgruppe).

Die deutliche Gewichtsreduktion führe zu einer starken Entfettung von Leber und Bauchspeicheldrüse, erklärte Aberle. Die reduzierte Lipotoxizität ermögliche eine Erholung des Pankreas und eine Zunahme dessen Parenchyms. Solche Effekte sehe man auch nach bariatrischen Operationen.

Abnehmen, aber wie?

Di e Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt für eine Diabetes-Remission eine Gewichtsreduktion von 15 Prozent des Ausgangsgewichts bei Übergewicht oder Adipositas (DOI: 10.1055/a-1543-1293 ). »Wie man abnimmt, ist egal«, betonte der Diabetologe. Am besten belegt sei der Effekt einer strengen Formuladiät, aber auch Kalorienrestriktion oder digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) zur Gewichtsreduktion seien erfolgreich. DiGA wie Zanadio und Oviva seien ab einem BMI von 30 kg/m² verordnungsfähig. 

Beim Abnehmen helfen zudem Arzneistoffe wie der dafür zugelassene GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid sowie Semaglutid, für das seit November eine Empfehlung zur Zulassung in der Indikation Übergewicht/Adipositas vorliegt (sie wurde noch nicht erteilt), sowie das in puncto Gewichtsreduktion noch effektivere Tirzepatid. Letzteres vereint die Wirkung der beiden Inkretine Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) und Glucose-dependent Insulinotropic Polypeptide (GIP). Tirzepatid ist noch nicht zugelassen.

Sehr vielversprechend sei die Kombination von Semaglutid und Cagrilintid, ein langwirksames Amylin-Analogon. Natürliches Amylin ist ein Pankreashormon, das Sättigung vermittelt. Die Medikation wird jeweils einmal wöchentlich subkutan gespritzt. In einer Phase-1b-Studie senkte die Kombination das Gewicht besser als Placebo; bei allen Teilnehmern besserten sich die glykämischen Parameter unter der Medikation (DOI: 10.1016/S0140-6736(21)00845-X). In einer 24-wöchtigen Studie mit Nicht-Diabetes-Patienten war Cagrilintid in puncto Gewichtsreduktion effektiver als Placebo und als Liraglutid (DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01751-7). Cagrilintid befindet sich jedoch noch nicht im Zulassungsprozess.

Aufstehen lohnt sich

Angesichts der guten Datenlage werde bereits über eine Anpassung der Leitlinien diskutiert, berichtete Aberle. Gegebenenfalls sollten gewichtsreduzierende Arzneimittel sehr früh eingesetzt werden, damit Menschen mit Diabetes frühzeitig von deren günstigen Effekten profitieren können.

Unerlässlich ist mehr körperliche Aktivität. Die WHO empfehle Ausdauertraining, Krafttraining und mehr Bewegung im Alltag. Wie einfach dies sein kann, zeige das Konzept des »Interrupted sitting«, erklärte Aberle. »Normalerweise sitzen wir neun Stunden am Tag, Diabetes-Patienten meist noch mehr. Aber je länger man sitzt, umso höher ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.« Wer alle 30 Minuten für drei Minuten oder stündlich für sechs Minuten aufsteht und sich bewegt, könne seinen Blutzucker erheblich senken. 

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