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Barmer

2600 Krebsfälle durch Corona zu spät entdeckt – vor allem Brustkrebs

Aus Angst vor Corona-Ansteckung in Kliniken und Arztpraxen ließen viele Termine zur Krebsfrüherkennung sausen. Das hat zu einem spürbaren Anstieg der Krebsfälle geführt, meldet die Barmer und appelliert, Vorsorgetermine nicht aufzuschieben.
Christiane Berg
04.05.2021  10:00 Uhr

Ob Mamma- oder Kolonkarzinome: Die Corona-Krise hat einer Auswertung der Barmer zufolge bereits zu verzögerten Krebsdiagnosen mit schlechteren Heilungsaussichten geführt. »Tausende Krebserkrankungen werden derzeit in Deutschland zu spät oder gar nicht diagnostiziert, da zahlreiche Patientinnen und Patienten die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen aus Angst vor Covid-19-Infektionen meiden. Das ist besonders besorgniserregend, da die meisten Tumore im Frühstadium am besten therapierbar sind«, zeigt sich Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, in einem aktuellen Statement alarmiert. In der ersten Corona-Welle sind nach Schätzung der Barmer etwa 2600 Krebserkrankungen unentdeckt geblieben, darunter fast 1600 Brustkrebsfälle.

Straub bezieht sich auf eine Analyse der Krankenkasse in Kooperation mit der Arbeitsgruppe um Privatdozent Dr. Armin Wiegering am Universitätsklinikum Würzburg, bei der die Inzidenz der Operationen im Falle von Krebserkrankungen des Dick- und Mastdarms, der Brust, der Lunge, der Speiseröhre, der Niere und der Prostata sowie des Magens und der Bauchspeicheldrüse während der Pandemie mit der aus den Vorjahren verglichen wurde. Danach hat die Gesamtzahl der chirurgischen Eingriffe von April bis Juni 2020 um 16,7 Prozent unter dem des entsprechenden Zeitfensters in den Jahren 2017 bis 2019 gelegen. »Bei Brust-, Mast- und Dickdarmkrebs betrug das Minus sogar jeweils mehr als 20 Prozent. In der ersten Corona-Welle dürften zahlreiche Krebserkrankungen unentdeckt geblieben sein, wobei diese Entitäten besonders betroffen waren«, so lautet sein Resümee.

Seien nach der ersten Welle Krebsoperationen zum Teil nachgeholt worden, so habe sich der zuvor beobachtete Rückgang damit jedoch nicht immer auffangen lassen, so Wiegering. Unter anderem bei Operationen am Magen (-28 Prozent) und am Mastdarm (-24,8 Prozent) seien die Operationszahlen auch von Juli bis Oktober 2020 sehr viel deutlicher unter denen des entsprechenden Zeitraums in den Vorjahren geblieben.

Im Folge der von Juli bis Oktober schließlich durchgeführten OPs bei Krebserkrankungen des Dickdarms, der Prostata, der Speiseröhre und der Brust seien zwar weniger dramatische Rückgänge als während der Zeit von April bis Juni 2020 zu verzeichnen gewesen, doch sei weiterhin Anlass zur Sorge gegeben.

Die Corona-Pandemie wird auch zukünftig zu verzögerten Krebsdiagnosen mit schlechteren Heilungsaussichten führen, sofern es nicht zu weiteren Verhaltensänderungen, sprich: wieder stärkeren Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen kommt, so Wiegering. Diese sei wichtig, denn: Jeder Fall sei einer zu viel.

Allein die Verzögerung einer Krebsoperation um drei bis sechs Monate könne englischen Studien gemäß zu einer um mehr als 35 Prozent niedrigeren Fünf-Jahres-Überlebensrate führen. Dieses wiege umso schwerer als dass zu befürchten sei, dass auch während der aktuellen Pandemiewelle zahlreiche Krebserkrankungen unentdeckt bleiben.

Krebsvorsorge nicht verschieben

In Deutschland erkranken jährlich allein etwa 70.000 Frauen an Brustkrebs. »Um erfolgreich therapieren zu können, muss der Tumor so früh wie möglich entdeckt werden«, hat die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) bereits im vergangenen Monat deutlich gemacht.

»Eine verspätete Brustkrebsvorsorge birgt größere Risiken als die Gefahr einer potenziellen Corona-Infektion«, warnt die Fachgesellschaft. Die Bedeutung der im Rahmen der Brustkrebsvorsorge zum Einsatz kommenden diagnostischen Maßnahmen, sprich: Mamma- und Sonografie, sei nicht zu unterschätzen.

»Die Zeiten zwischen der Diagnose und Therapie bei Brustkrebs haben sich in den letzten Monaten deutlich verlängert. Strahlen- und Systemtherapien wurden verkürzt, chirurgische Eingriffe wurden verschoben. Es kam zu gravierenden Einschränkungen auch in der Nachsorge«, sorgt sich Professor Dr. Werner Bader, Leiter des DEGUM-Arbeitskreises Mammasonografie.

Wenn die nach einer Brustkrebs-Diagnose notwendige Operation um zwölf Wochen verzögert wird, so sei aktuellen Erkenntnissen gemäß bei 1000 Mammakarzinom-Erkrankungen mit 31 zusätzlichen Todesfällen zu rechnen. Wie alle Krebs-Vorsorgeuntersuchungen müssten daher auch die Mammografie und der Brustultraschall während der Corona-Pandemie unbedingt ernst genommen werden, mahnt der Gynäkologe.

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