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Pilotprojekt: Therapie per Virtual Reality

Sich in der Natur bewegen oder mit einem Boot auf dem See treiben, ohne das Krankenzimmer zu verlassen: Das Start-up «Anders VR» der Universität Hohenheim in Stuttgart will das möglich machen. Das Unternehmen produziert maßgeschneiderte 3D-Visualisierungen, die der Patient mithilfe einer Virtual-Reality (VR)-Brille wahrnimmt. Die virtuellen Erlebnisse sollen etwa psychische Belastungen kranker und alter Menschen mindern und Patienten mit speziellen Übungen körperlich aktivieren.

 

Patienten können über eine App verschiedene virtuelle Szenarien wählen, beispielsweise einen Sonnenaufgang auf dem Berg, einen Wald oder eine Wiese. Außerdem seien angeleitete Atemübungen oder Entspannungssequenzen und leichte Bewegungsübungen abrufbar, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Hohenheim. Der Fokus liege derzeit auf Krebspatienten und Patienten in der Schmerztherapie. Vorstellbar sei aber auch der Einsatz in der Orthopädie, bei Querschnittpatienten und in der Palliativmedizin.

 

Nach Tests mit einzelnen kleinen Gruppen werden die VR-Brillen mittlerweile in verschiedenen Pilotprojekten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen getestet. «Die Atemübungen sind ein wichtiger Punkt, bei dem sich die Krankenhäuser unter anderem einen präventiven Nutzen bei der Vermeidung von Lungenentzündungen erhoffen. Das kann die Verweildauer verkürzen und die Genesung unterstützen», erklärt Anders-VR-Gründer Dr. Andreas Haas vom Fachgebiet Versicherungswirtschaft und Sozialsysteme der Universität Hohenheim.

 

Inhalte und Anwendung sollen laut Haas möglichst genau auf die Situation der Patienten zugeschnitten werden. So werde beispielsweise berücksichtigt, ob ein Patient im Krankenbett nur flach liegen oder auch aufrecht sitzen kann. «Wir simulieren bei unseren Tests die unmittelbare Umgebung und Bewegungsfreiheit des Patienten: Infusionskabel, Sitzpositionen oder auch die Ausmaße von Krankenbetten müssen berücksichtigt werden, um ausladende Armbewegungen zu verhindern.»

 

Mit bekannten Virtual-Reality-Angeboten zur Unterhaltung hätten diese Anwendungen wenig zu tun. «Schnelle Kamerabewegungen sind tabu, die Ich-Perspektive in der virtuellen Welt muss der tatsächlichen Position des Nutzers entsprechen – sonst wird den Nutzern schlecht oder schwindelig.» Man verzichte auch bewusst auf animierte Figuren und Umgebungen, um das Erlebnis möglichst realistisch zu halten, so Haas.

 

Auch die Hardware ist an das besondere Einsatzgebiet und die Hygienestandards im Krankenhaus angepasst: Die VR-Brillen sind komplett desinfizierbar, für die Kontaktstelle zwischen Gesicht und Hardware hat das Unternehmen einen gepolsterten Lederaufsatz entwickelt. Um die Krankenhaustechnik nicht zu stören, werden alle Inhalte zudem offline auf dem Gerät zur Verfügung gestellt.

 

Haas und seine Kollegen planen, in Zukunft auch spezielle VR-Programme für Demenzkranke anzubieten. Dabei setze man vor allem auf regionale Landschaften und Inhalte. Ein Patient aus Norddeutschland könnte zum Beispiel einen Film zu sehen bekommen, der am Strand spielt, heißt es in der Pressemeldung. Auch Städte aus der Heimatregion, Bilder von lokalen Festen oder ein Sprecher mit heimischem Dialekt könnten Vertrautheit schaffen. Speziell für diese Patientengruppe hat das Unternehmen gemeinsam mit der Demenzpflege Riedlingen auch einen VR-Demenzhut entwickelt: Die VR-Brille wurde in einen Hut integriert, der älteren Menschen vertrauter ist als die moderne technische VR-Brille. Das soll eine der derzeit größten Hürden im Demenzbereich – den Menschen die Brille aufzusetzen – vereinfachen. (va)

 

21.02.2018 l PZ

Foto: Anders VR